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Hausärzte wollen kein
Rezept mehr ausstellen

Patienten sollen Krankenkasse Arzneiempfehlung vorlegen

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Hausärzte in Deutschland sollen keine Rezepte mehr ausstellen. Im nächsten Jahr sollen Patienten lediglich eine schriftliche Medikamentenempfehlung erhalten.

Diese Protestmaßnahme hat der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV-Virchow-Bund) vorgeschlagen. Dr. Ernst-Rüdiger Osterhoff, stellvertretender NAV-Landesvorsitzender in Westfalen-Lippe, aus Preußisch Oldendorf (Kreis Minden-Lübbecke): »Kommt der Rezeptverzicht, wird den Patienten geraten, mit der Medikamentenempfehlung zur ihrer Krankenkassen zu geben. Die Kasse soll dann entscheiden, ob die Arznei bezahlt wird, oder ob der Arzt sein Budget bereits überzogen hat.«
Das neue Pharma-Spargesetz sehe vor, dass jeder einzelne Arzt gegenüber der Krankenkasse haften muss, wenn er bei der Verordnung von Medikamenten die vorgegebene Menge um mehr als fünf Prozent überschreitet. Trete das Gesetz in Kraft werde sich die Patientenversorgung dramatisch verschlechtern, sagte Osterhoff. Ferner würden kaum noch Originalpräparate verordnet. Große Pharmafirmen würden dann zahlreiche Arbeitsplätze in Deutschland abbauen. Ärzte, die sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben hielten, würden in den Ruin getrieben.
In Deutschland seien bereits 50 Prozent der Praxen wirtschaftlich gefährdet. Vor 20 Jahren haben ein Hausarzt noch 75 bis 80 Euro pro Patient und Quartal erhalten. Heute seien es 40 Euro, sagte Osterhoff. In ganz Westfalen-Lippe würden im nächsten Jahr 300 bis 400 Millionen Euro fehlen, um die notwendigen Arznei- und Heilmittel verordnen zu können.
Strafzahlungen könnten leicht fünfstellige Eurobeiträge erreichen, sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dr. Ulrich Thamer. Ein Hausarzt dürfe im Quartal durchschnittlich für 43 Euro pro Patient Medikamente verschreiben. Thamer: »Habe ich einen Patienten, dessen Versorgung 430 Euro kostet, darf ich zum Ausgleich zehn anderen Patienten nichts mehr verschreiben.«
Aus Protest gegen die immer schlechteren Rahmenbedingungen in der ambulanten ärztlichen Versorgung waren gestern zahlreiche Arztpraxen geschlossen. Für eine Notfallvertretung war gesorgt. Allein im Hochstift Paderborn (Kreis Paderborn und Höxter) blieben 50 Prozent der Praxen dicht. Die Patienten zeigten Verständnis. In Lübbecke stattete der Gynäkologe Dr. Thomas Fix der Innungskrankenkasse einen Besuch ab, um kritische Fragen nach dem Verbleib der Versichertenbeiträge zu stellen. Auch in Gütersloh, Verl und im ehemaligen Kreis Halle blieben die meisten Praxen geschlossen. In Bielefeld und Herford kam es vereinzelt zu Schließungen. In Spenge und Enger (Kreis Herford) verteilten Ärzte Info-Material. Interne Umfragen von Ärzteorganisationen haben eine hohe Streikbereitschaft bei den Ärzten ergeben. Sie liegt allein in Bielefeld bei 90 Prozent.
Die Ärzte wollen ihre Aktionen zumindest in diesem Jahr jeweils mittwochs weiterführen. Am 18. Januar 2006 will der Hartmannbund die Proteste der deutschen Ärzteschaft in einem »Tag der Ärzte« in Berlin zusammenführen (diese Zeitung berichtete). Vorsitzender Dr. Kuno Winn: »Der Druck wird erhöht.«

Artikel vom 15.12.2005