15.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Eingriff in den Elternwillen

Kritik am Grundschulgutachten der Landesregierung

Von Reinhard Brockmann und unserer Nachrichtenagenturen
Düsseldorf (WB). Die Landeselternschaft Grundschulen sieht in dem in NRW vorgesehen verbindlichen Grundschulgutachten einen nicht vertretbaren Eingriff in das Recht und die Pflicht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen.

Der Vorsitzende Martin Depenbrock wies gestern auf das Grundgesetz hin, in dem es heißt, »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht«. Und in der Verfassung des Landes NRW steht, »jedes Kind hat Anspruch auf Erziehung und Bildung. Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens«. Depenbrock rechnet mit einer Welle von Klagen.
Die Parteien im Düsseldorfer Landtag lieferten sich gestern einen Schlagabtausch über das neue Schulgesetz. Mit den geplanten verbindlichen Grundschul-Gutachten für die weiterführende Schule werde der Elternwille ausgehebelt, bekräftigte Ex-Schulministerin Ute Schäfer (SPD). Schulministerin Barbara Sommer (CDU) wies den Vorwurf verstärkter Selektion und abnehmender Bildungschancen als »höchst abwegige Unterstellung« zurück.
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sigrid Beer, hielt Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) vor: »Sie verwechseln Kinder mit Kartoffeln.« Schuluntersuchungen belegten, dass Kinder aus bildungsferneren Familien deutlich höhere Leistungen bringen müssten, um eine gute Zensur oder eine Gymnasialempfehlung zu erlangen.
Die Auslese im NRW-Schulsystem werde sich noch verstärken, befürchtet der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Landesvorsitzender Udo Beckmann hat sich in einem persönlichen Brief an Rütgers gewandt mit der Bitte, den Entwurf für ein neues Schulgesetz erheblich zu ändern.
Grundschullehrer müssten für die sehr viel verbindlicheren Grundschulempfehlungen den »richtigen« Bildungsgang für neunjährige Kinder prognostizieren, ohne dafür objektivierbare Kriterien zu haben, schreibt Beckmann. »Sie treffen damit aber eine Entscheidung über den Lebensweg dieser Kinder, die sich angesichts der kaum vorhandenen Durchlässigkeit unseres Schulsystems später kaum noch revidieren lässt.« Den »Prognoseunterricht« lehnt der Verband ab, schon allein weil das Wort von einem gewissen Zynismus zeuge. Er liefere lediglich eine Momentaufnahme und setze Neunjährige unter Stress.
Das Modell »Neun plus drei« für das um ein Jahr verkürzte Gymnasium werde ebenfalls bildungsferne Schichten weiter auf Distanz halten. Beckmann: »Es wird dazu führen, dass das Gymnasium von den anderen weiterführenden Schulformen abgekoppelt wird.« Der Wechsel eines Real- oder Hauptschülers sei nach Klasse 6 praktisch nicht mehr möglich.

Artikel vom 15.12.2005