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Erregt Aufsehen in Straßburg: Elmar Brok.

EU-Erweiterung in weiter Ferne

Broks Wortschöpfung vom »Nachbarschaftsland« stößt auf Widerstand

Von Reinhard Brockmann
Straßburg (WB). Eine nicht gehaltene Rede im Europaparlament gilt als jüngster aussagekräftiger Beleg für das Stocken, möglicherweise auch das abrupte Ende jeglicher EU-Erweiterung.

Während auf Regierungsebene vor allem Frankreich eine bevorstehende Erklärung über das sofortige Ende des Prozesses zugetraut wird, tritt jetzt auch der Außenexperte des Parlaments, Elmar Brok (CDU) aus Bielefeld, auf die Bremse.
Sein Bericht über die Erweiterungsstrategie 2005 verschwand kurzfristig von der gestrigen Tagesordnung des Europaparlaments in Straßburg. Hintergrund ist ein einziges, in der Debatte bislang neues Wort: »Nachbarschaftsland«. In dem von Brok lediglich auf Eis gelegten Bericht wird gefordert, »eine Wahlmöglichkeit zwischen Vollmitgliedschaft und dem Status eines Nachbarschaftslandes vorzulegen«.
Ausdrücklich Bezug genommen wird auf den Europäischen Wirtschaftsraum. Das könnte bedeuten, dass es künftig einen Kranz von Vertragsstaaten rund um Europa im Endausbau gibt.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses war mit seiner neuen Wortschöpfung auf vielfältigen Widerstand gestoßen. Brok zeigte sich westfälisch stur. Statt die Passage zu streichen, weigerte er sich, überhaupt den zum Verfahren notwendigen Zwischenbericht vorzulegen. Neuer Termin für die ungehaltene Rede: Möglichweise Ende März.
Das passt in ein Schema, das Frankreich am Montagabend bei einer streng abgeschirmten Konferenz der 25 EU-Außenminister - selbst deren Mitarbeiten mussten draußen bleiben - durchsetzte. Danach soll es im kommenden Frühjahr eine grundsätzliche Debatte über das Ob und Wie weiterer Aufnahmen in die Europäische Union geben. »Wir können erst dann neue Mitglieder in die Europäische Familie aufnehmen, wenn die internen Spielregeln feststehen«, sagte Frankreichs Außenminister Philippe Douste-Blazy den Journalisten vor der Tür und verwies auf fehlende Mittel zur Finanzierung jeglicher Neuaufnahmen weiterer Länder.
Die notwendige Aufnahmefähigkeit der Gemeinschaft als Bedingung für weitere Beitritte wird in den als unstrittig bezeichneten Teilen des Brok-Papiers herausgestellt. Auch könne der Integrationsprozess nicht ausschließlich auf technokratischen Kriterien beruhen, sondern verlange eine »umfassende Verinnerlichung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit«.
Zur Türkei wird konkret festgestellt, dass sich das Tempo der notwendigen Reformen 2005 verlangsamt habe. Folter und Misshandlung seien unverzüglich zu beenden und die kurdische Frage mit demokratischen Mitteln zu lösen.

Artikel vom 15.12.2005