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»Zerstrittenheit statt Solidarität - das ist der Eindruck, der sich bei den europäischen Bürgern festsetzt.«

Leitartikel
EU-Gipfel

Die Idee
Europa nicht
vergessen


Von Dirk Schröder
»Es ist ein wunderbarer Vorschlag - für Großbritannien.« So spottete noch der spanische Wirtschaftsminister Pedro Solbes, nachdem London in der vergangenen Woche die Vorschläge für die Finanzplanung der EU für die Jahre 2007 bis 2013 vorgelegt hatte. Mit dieser Feststellung war er gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt. Die Position der britischen Regierung lässt - wieder einmal - kaum einen anderen Schluss zu: Die Briten schauen zunächst einmal nur auf ihre eigenen Vorteile, die Europäische Union und ihre weitere Entwicklung ist ihnen auf ihrer Insel so ziemlich egal.
Zwar haben die Briten gestern noch einmal einen weiteren Kompromiss für den heute beginnenden Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vorgelegt. Doch man ahnt es schon: Für eine Einigung wird auch der neue Vorschlag nicht reichen. Die Chancen, dass die 25 EU-Länder bis morgen auf einen gemeinsamen Nenner kommen, sind äußerst gering.
Schon bei Margaret Thatcher war das »gemeinsame Europa« vor allem Mittel zum Selbstzweck. Bei Premierminister Tony Blair sieht es heute nicht viel anders aus. Zwar beschwört er immer wieder den europäischen Geist, um dann doch vornehmlich pro-britisch zu handeln. Weitere Zugeständnisse beim Briten-Rabatt sind von ihm nicht zu erwarten. Denn Umfragen in dieser Woche haben ergeben, dass seine Labour-Partei in der Wählergunst erstmals hinter den Konservativen zurückliegt. Da wird sich Blair mit Korrekturen am Briten-Rabatt nicht noch mehr Wähler vergraulen.
Der Nachlass, vor mehr als 20 Jahren von der »Eisernen Lady« erzwungen, hatte lange Jahre durchaus seine Berechtigung. Doch schon 2003 hat die EU-Kommission vorgerechnet, dass Großbritannien in der EU der damals 15 Mitglieder, gemessen an der Wirtschaftsleistung, an der Spitze lag.
Zugegeben, zu einem fairen Kompromiss, der die ärmsten Staaten, die im vergangenen Jahr mit so viel Hoffnung nach Europa gestartet sind, nicht vor den Kopf stoßen darf, gehört auch die Frage nach den Agrarbeihilfen für Frankreich. Aber abgesehen davon, dass Präsident Jacques Chirac Zugeständnisse innenpolitisch nicht überleben würde. Gerade vor zwei Jahren hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt und die Agrarausgaben bis 2013 festgezurrt. Verträge sind dazu da, eingehalten zu werden. Doch nach 2013 sind hier Korrekturen erforderlich.
Wenn die Staats- und Regierungschefs scheitern, und danach sieht es aus, sind sie nicht nur für ein neues Debakel im Streit um die Finanzplanung verantwortlich. Die Finanzkrise bedeutet einen weiteren Rückschlag für die Idee Europa. Zerstrittenheit statt Solidarität - das ist der Eindruck, der sich bei den europäischen Bürgern festsetzt.
Es wird Zeit, die Notbremse zu ziehen. 2005 hat der Idee Europa nur Rückschläge gebracht.

Artikel vom 15.12.2005