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Chaos nach der Keile

Ruiz-Coach rastet nach Gürtel-Verlust an Walujew aus

Von Oliver Kreth
Berlin (WB). Als die Hauptkämpfer ihre Handschuhe abgestreift hatten, entwickelte sich im Ring der Max-Schmeling-Halle ein Boxkampf alter Schule.

Nach der Bekanntgabe des Punkturteils, 114:114, 116:114, 116:113 für den russischen Herausforderer Nikolai Walujew, entriss der Trainer des unterlegenen US-Amerikaners John Ruiz, dem verdutzten neuen Champion seinen Schwergewichts-WBA-Gürtel. Mit dem flüchtete sich Norman Stone dann in die neutrale Ecke. Dort bediente sich wiederum Walujew-Betreuer »Hacko« Sevecke bewährter Boxtechniken, um das Objekt der Begierde wieder in Besitz zu bringen. Wenigstens noch ein wenig Würze am Ende eines sonst grausig langweiligen WM-Kampfes.
Denn beide Kämpfer gehören nicht zu den Ästheten im Ring. was sie vor 10 000 Zuschauern erschreckend deutlich unter Beweis stellten. Ruiz, der nach dem Urteil der drei Punktrichter aus Neuseeland, Australien und Mexiko von einem »Raubüberfall ohne Waffen« sprach, gilt gar als schlechtester Schwergewichts-Champions aller Zeiten. Und auch der 2,13 Meter große und 147 Kilogramm schwere Herausforderer wird nicht gerade als würdiger Nachfolger des in der Max-Schmeling-Halle am Ring sitzenden Muhammad Ali angesehen. Der kolossale Russe, der eine Gastrolle im Otto-Film »Sieben Zwerge, zweiter Teil« hat, tat für einen Herausforderer viel zu wenig. Er traf zwar klarer, aber fast nur mit der linken Führhand. Der Titelverteidiger wühlte sich in den Infight, in dem Walujew sein Schlag-Fett abbekam. Beide waren im Gesicht nach 12 verbissen geführten Runden deutlich gezeichnet. In den USA hätte das Urteil sicherlich anders gelautet.
Doch nicht nur im Mutterland des Faustkampfes sondern auch in Deutschland, dank Henry Maske und Kollegen ja zur zweitwichtigsten Gelddruckmaschine aufgestiegen, gelten die ungeschriebenen Gesetze der Branche. Mit welchem Fight kann man noch »Kohle« machen, in einer Gewichtsklasse, die derzeit keine Klasse bietet? Und da setzt anscheinend der Wilfried Sauerland-Kollege Don King mehr auf den Riesen-Russe als auf Ruiz (»Ich habe den Kampf gewonnen, das Publikum stand hinter mir«). Der starkstromfrisierte Manager erregte sich auffällig wenig über das Urteil, denn er witterte neue Vermarktungs-Chancen. »Nikolai ist das achte Weltwunder, das Empire-State-Building. Ich traue ihm zu, aus einem Vereinigungskampf aller vier Weltmeister ungeschlagen hervorzugehen«, phantasierte der mit Brillant-Schmuck Behängte und wie immer bei seinen Ring-Besuchen in Deutschland ständig mit deutschen und amerikanischen Flaggen Wedelnde.
Ob das wortkarge »Biest aus dem Osten« der richtige PR-Partner ist, darf bezweifelt werden. Nach dem Kampf knurrte der erste russische Schwergewichts-Weltmeister aller Zeiten nur wenige Worte: »Ein besseres Weihnachtsgeschenk gibt es nicht. Ich war mir sicher, gewonnen zu haben.«
Egal, gegen wen der neue Champion als nächster boxt, der Exzentriker mit schwer krimineller Vergangenheit (verurteilt wegen Totschlages) ist an den folgenden Titelfights Walujews finanziell beteiligt. Und ein Rückkampf gegen Ruiz, von ihm und seinem Trainer gefordert, passt sicher nicht in Kings Konzept und auch nicht in das von Walujew-Manager Sauerland, der im fünften Anlauf erstmals einen Schwergewichts-Weltmeister in seinem Team hat. Das Angebot Sauerlands hörte sich schwer zurückhaltend an: »Ruiz könnte wieder kommen, aber ohne Stone. Allerdings glaube ich, dass es nicht viele gibt, die dieses Duell wieder sehen wollen.«

Artikel vom 19.12.2005