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»In Europa gelten die Menschenrechtskonvention und die Grundrechte-Charta.«

Leitartikel
CIA-Geheimgefängnisse

Auf den
»Bush«
klopfen


Von Reinhard Brockmann
Berlin tut sich schwer, den Komplex CIA/el Masri aufzuklären - die SPD sowieso. Auch die Union will den Koalitionspartner nicht gleich beschädigen - weder Frank-Walter Steinmeier, noch den rückblickend durchaus geschätzten Otto Schily.
Sogar die Grünen, die sich in der Oppositionsrolle noch finden müssen, wollen Linkspartei und FDP nicht zum notwendigen Viertel an Abgeordnetenstimmen verhelfen, um einen Untersuchungsausschuss zu verlangen.
Da fügt es sich, dass das Thema auf europäischer Ebene reift. Es scheint sicher, dass das Europaparlament einen nichtständigen Ausschuss einrichtet, aus dem ein Untersuchungsausschuss hervorgehen könnte. Wichtig ist, dass aufgeklärt wird - und zwar gründlich. Das muss auch für den nur noch wenig wahrscheinlichen Fall gelten, dass sich am Ende alles als antiamerikanische Propaganda herausstellt.
Mit einem schulterzuckenden »Na. und« werden die Schlapphüte nicht davonkommen. Washington kann nicht auf Schonung hoffen. Auch aus den Reihen der Konservativen sind zu viele Stimmen zu hören, die auf Aufklärung dringen. »Bei aller Liebe zu den USA...« beginnen Äußerungen selbst der treuesten Atlantiker.
Für die europäische Perspektive bei der anstehenden Untersuchung spricht, dass die Geheimgefängnisse, so es denn welche gegeben hat, im Vordergrund stehen. Der Fall el Masri könnte nämlich nur einer von vielen sein. Außerdem ist es nach dem Selbstverständnis Europas wichtig zu unterstreichen, dass es nirgendwo zwischen Baltikum und Portugal Bereiche mit mehr und andere mit weniger Grundrechten geben könnte.
Nein, in Europa gelten die Menschenrechtskonvention und die Grundrechte-Charta. Daran gibt es nichts zu deuteln. Selbst wenn sich einige Regierende derzeit in Sofia oder gar in Warschau Sorgen um ihr Ansehen machen müssen, ist die europäische Familie fair genug, um zwischen dem Verlangen einer Supermacht und den Möglichkeiten eines EU-Aspiranten oder Neulings zu unterscheiden. Im Gegenteil: Sollte es tatsächlich den Nachweis unzulässiger Verhörmethoden in Masuren, an der Schwarzmeerküste oder gar im Kosovo geben, werden die kleinen Mitgliedsstaaten erleben, wie die großen in Europa sich hinter sie und gegen die USA stellen.
Das ist eine wichtige Erfahrung und dürfte am Ende stabilisierend für die gesamte Gemeinschaft wirken. Nebenbei wird nicht nur der Türkei vor Augen geführt, was es bedeutet, sich dem Gemeinschaftsrecht zu unterwerfen.
Zur Gratwanderung wird die Neudefinition des Verhältnisses Europa-USA auf jeden Fall. Das beginnt damit, dass weder CIA noch sonstige Stellen wirklich Verantwortliche vor den europäischen Ausschuss entsenden werden. Die meisten werden auf einen neuen US-Präsidenten setzen. Weil aber erst 2008 gewählt wird, bleibt nichts anderes, als weiter auf den Bush zu klopfen.

Artikel vom 14.12.2005