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HSV - Hoch im Norden

Jetzt muss die Mannschaft zeigen, was sie wirklich kann

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Hamburg (WB). Ein volles Programm. Was darunter im Fußball zu verstehen ist, demonstriert der Hamburger SV. 31 Pflichteinsätze liegen bereits hinter dem Klub, drei folgen noch in diesem Jahr. Das ist so, als hätte der HSV schon bis Dezember eine komplette Bundesliga-Saison durchgezogen.

UI-Cup; Qualifikation, Hauptrunde und Gruppenspiele im UEFA-Cup; DFB-Pokal und nicht zuletzt die Liga-Partien: die Mannschaft von Thomas Doll wird gefordert wie keine andere. Nicht einmal der FC Bayern reicht da heran. Dabei orientieren sich die Vielspieler aus Hamburg durchaus am Münchner Motto. Wer es weit bringen will, kommt an diesen hohen Belastungen nicht vorbei.
Ausruhen ist auch jetzt nicht drin, im Gegenteil. Vor Weihnachten geht es noch um die Wahrheit: Wie stark ist dieser HSV wirklich? Den ultimativen Test für mögliche Erfolgsaussichten im großen Stil legt das Elbe-Ensemble in den nächsten sieben Tagen ab.
Heute ist im Heimspiel gegen Slavia Prag der Einzug in die K.o.-Runde des UEFA-Pokals eingeplant. Am Sonntag folgt im Bremer Weserstadion das Hanse-Derby beim SV Werder, wo im direkten Duell Bundesliga-Platz zwei und die erste Verfolger-Position hinter den Bayern ausgelobt wird. Und dann begegnet der aktuelle Tabellenzweite am Mittwoch dem Spitzenreiter auch noch Auge in Auge. In der Allianz-Arena streitet das Führungsduo um einen Platz im DFB-Pokal-Viertelfinale. Das sind Aufgaben, die es in sich haben. Und Ansprüche, die vom HSV erfüllt werden wollen.
Denn längst haben sich außer der Mannschaft auch die Erwartungen gesteigert. Das Hoch im Norden soll so lange wie möglich anhalten. Notfalls gehen die Spieler auch auf dem Zahnfleisch dafür. Letzte Kräfte sind offenbar immer da. So legte Thimothee Atouba nach dem 1:0 in Leverkusen noch ein flottes Tänzchen hin, obwohl die Truppe eher unter das Sauerstoffzelt gehört hätte. Donnerstag Abend Monaco, Samstag Nachmittag BayArena, eine harte Nummer. Nach Hause führte da zwischendurch kein Weg mehr, stattdessen direkt in den Whirlpool eines Kölner Hotels. Trainer Doll hatte einen Wellness- und Wohlfühltag verschrieben.
Der Mann weiß, was die Mannschaft braucht. Geübt wird nur noch dosiert, rotiert gar nicht mal so viel. Doll hat sein Gerüst, und das ist so stabil wie die Köhlbrandbrücke im tosenden Wind. Vor allem Kapitän Daniel van Buyten und sein Nebenmann Khalid Boulahrouz stehen wie eine Eins. In 16 Bundesligaspielen ließ die Abwehr nur acht Gegentreffer zu. So dicht ist sonst niemand.
Damit könnte die Erfolgsgeschichte fortgeführt werden, allerdings ist auch in Hamburg nicht nur Märchenstunde. Der Knöchelbruch von Rafael van der Vaart kam wie ein Schock, auch gab es die ein oder andere Undiszipliniertheit auf dem Platz (Barbarez, Demel), die Doll gar nicht gefiel.
Hamburg und Heißsporn, das passt eigentlich gar nicht zusammen, der HSV hat trotzdem eine heißblütige Elf. Aber das Temperament, das auch der Trainer mit einbringt, spricht zugleich für sie. Spiele, Siege, Ziele: Die Mannschaft hat Gefallen daran gefunden. Bis sie abgewunken wird.
Zumindest heute gegen Prag gibt es bei einem Profi allerdings gemischte Gefühle. David Jarolim muss die eigene Familie ausschalten. Bruder Lukas spielt für Slavia, Vater Karel trainert die Mannschaft aus Tschechien.

Artikel vom 15.12.2005