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Ein »Alter Zausel« mit
dritter Karriere in USA

Armin Mueller-Stahl wird morgen 75 Jahre alt

Von Barbara Munker
Los Angeles (dpa). Ein Geburtstagsständchen ganz nach seinem Geschmack: Dafür jettet Armin Mueller-Stahl aus seiner kalifornischen Wahlheimat gerne ins Leipziger Gewandhaus, wo der große Schauspieler mit einer Klassik-Gala unter der Leitung von Star-Dirigent Kurt Masur an diesem Sonntag gefeiert wird. Morgen wird er 75 Jahre alt.
Armin Mueller-Stahl als Computer-Experte Hannon Fuller im Film »Abwärts in die Zukunft«.
Mit dem Manager Anson Baer (Mueller-Stahl) wird in »The Game« kurzer Prozess gemacht.

Nicht das Schauspiel, sondern die Musik war die erste Liebe des gebürtigen Tilsiters, der Musikwissenschaft und Geige studierte, bevor er auf die Bühne und dann zum Film wechselte. Über Jahre hinweg war Mueller-Stahl der beliebteste und meist beschäftigste Schauspieler der DDR, bis er wegen seines Protestes gegen die Wolf-Biermann-Ausbürgerung 1976 mit einem Berufsverbot kalt gestellt wurde. 1980 kam er in den Westen, wo sich auf Anhieb Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder (»Lola«), Andrzej Wajda (»Eine Liebe in Deutschland«) und Istvan Szabo (»Oberst Redl«) um ihn rissen. Mit fast 60 Jahren zog er nach Hollywood. Als »gnädiges Schicksal« bezeichnete er unlängst seine »dritte« Karriere in den USA, die einem »alten Zausel« wie ihm dort ermöglicht wurde.
Für sein Filmdebüt in Hollywood mit »Music Box« (1989) von Costa-Gavras gewann Mueller-Stahl auf Anhieb einen Goldenen Bären bei den Filmfestspielen in Berlin. Es folgten zwei Oscar-Nominierungen, für die Rolle eines jüdischen Patriarchen in »Avalon« und zuletzt 1997 als bester Nebendarsteller in dem Film »Shine« über die Lebensgeschichte des australischen Pianisten David Helfgott. Jim Jarmusch holte ihn in »Night on Earth« als ostdeutschen Taxifahrer in New York vor die Kamera, Steven Soderbergh engagierte ihn für seinen »Kafka«-Film. Mueller-Stahl spielte an der Seite von George Clooney, Nicole Kidman und Robin Williams.
Er verkörperte große Männer, wie Thomas Mann in dem deutschen Fernsehdreiteiler »Die Manns - ein Jahrhundertroman« und demnächst Sigmund Freud in dem geplanten Psychodrama »Where Love Reigns«. Größe bewies der Ostpreuße selbst, als er sich in der DDR durch seinen Protest zum Staatsfeind machte, was er später mit »Lieber einen Knick in der Karriere als im Rückgrat« kommentierte. Auch bei lukrativen aber ungeliebten Rollenangeboten blieb Mueller-Stahl standhaft. So lehnte er die Rolle des Dr. Brinkmann in der ZDF-Seifenoper »Schwarzwaldklinik« ab. Sich den Serien zu verweigern, nannte Mueller-Stahl kürzlich seine »einzige mutige Tat«.
Sein Handwerk als Schauspieler hatte der Künstler an der Ost- Berliner Volksbühne gelernt, wo er 25 Jahre Mitglied war. Gleichzeitig wirkte er in DDR-Filmen mit wie der Mehrteiler »Wege übers Land« (1968) über den Bauernalltag in der noch jungen DDR. Noch bekannter wurde Mueller-Stahl dann 1973 in dem Spionagethriller »Das unsichtbare Visier« und durch mehrere Filmen von Frank Beyer wie »Fünf Patronenhülsen«, »Nackt unter Wölfen« und »Jakob der Lügner«, der 1977 für den Oscar nominiert wurde.
Der seit mehr als 30 Jahren mit einer Ärztin verheiratete Schauspieler, Vater eines erwachsenen Sohnes, ist inzwischen auch als Maler und Schriftsteller bekannt. Vor fünf Jahren stellte er in Potsdam erstmals seine Bilder aus, darunter Porträts von Günter Grass und Fassbinder. Das Zeichnen sei für ihn ein »Ausgleich zum Gefesseltsein als Schauspieler«, meint Mueller-Stahl, der auf die Schnelle in Drehpausen zum Zeichenstift greift. Das gerade von ihm veröffentlichte Buch »Venice, ein amerikanisches Tagebuch« zeigt den vielseitigen Künstler als Zeichner, Erzähler und Beobachter des Lebens jenseits des Glamours von Hollywood.
Neben vielen Spielfilmen gibt es am Sonntag um 11 Uhr bei 3sat die Gala zu Ehren des Schauspielers live. Er selbst wird den Part des Erzählers in Camille de Saint-Saens »Karneval der Tiere« übernehmen.

Artikel vom 16.12.2005