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Der Engel aus Liverpool

Ex-Spice Girl Melanie C verzauberte ihre Fans im Ringlokschuppen


Von René Gast (Text)
und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Mit den »Spice Girls« war sie ganz oben, legte eines der erfolgreichsten Solo-Debüts in der Pop-Historie ab, und stand dennoch vor dem wirtschaftlichen Aus. Heute ist sie wieder oben angelangt - dank des früheren Songwriters von Robbie Williams und einer kleinen TV-Soap im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Die Loyalität der Fans ist in Zeiten der Konsumgesellschaft anno 2005 nicht mehr sonderlich ausgeprägt. Alte Hasen, ja sogar Veteranen wie Indie-Gott Phillip Boa haben dies auf ihrer Konzertreise unlängst zu spüren bekommen. Spärlich besuchte Konzerthallen, und das kollektive Desinteresse der hiesigen Fachblätter muss die ernüchternde Bilanz des einen oder anderen Altstars wohl lauten. Auch Melanie C bekam den Druck der Wegwerfgesellschaft zu spüren, wurde sie doch auf brutalste Weise von den Fans, und schließlich auch noch von der Plattenfirma abserviert. Wie der rettende Strohhalm muss ihr da das Angebot vorgekommen sein, den Song »First day of my life«, ein Stück aus der Feder des Mannes, der Robbie Williams zum Pop-König machte, namentlich Guy Chambers, für die Seifenoper »Julia - Wege zum Glück« trällern zu dürfen.
Heute, am Ende des Jahres 2005 steht fest, dass die Umstände es gut mit dem »Engel aus Liverpool« meinten. Die Kollaboration mit Chambers katapultierte die charmante Sängerin wieder an die Spitze der Charts, und auch das aus eigener Tasche finanzierte Album stieg im Zuge des Single-Erfolges wieder in nicht mehr für möglich gehaltene Chart-Höhen. Keine Frage, das ehemalige »Sporty Spice«, das kurz vor dem finanziellen Ruin stand, stieg im Jahre 2005 wie der sagenumwobene Phönix aus der Asche empor. Ein Phänomen, das man im schnelllebigen Musikgeschäft nur noch selten vorfindet.
Dementsprechend losgelöst wirbelte eine über beide Backen strahlende Melanie C bei ihrem Gastspiel in Bielefeld über die Bühne, schmiss sich dabei gekonnt in die verführerischsten Posen. Neben der schier überwältigenden Bühnenpräsenz sorgten Hits wie »Going down« oder »Never be the same« für einen abwechslungsreichen Konzertabend. Dennoch wollte der Funke des Feuerwerks aus Gefühl und Leidenschaft, das der »Northern Star« Melanie Chisholm entfachte, nicht so recht auf den bloß zur Hälfte gefüllte Ringlokschuppen überspringen. Lediglich bei den obligatorischen Hits wie »Better alone« und »When you«re gone«, letzterer ursprünglich im Duett mit Bryan Adams aufgenommen, taute das Publikum ein wenig auf.
Eine hervorragend aufspielende Melanie C setzte in der letztlich dann doch lautstark geforderten Zugabe schließlich einige Schlussakzente, und spielte mit »First day of my life« einen der größten Hits des Jahres 2005, um mit »I turn to you« vom Erfolgsalbum »Northern star« zu schließen.
Für das ehemalige »Spice Girl« geht ein Jahr zu Ende, das rückblickend als »das Jahr der Melanie C« gewertet werden darf, obwohl es genau genommen über weite Strecken vielmehr nach einem kommerziellen Waterloo aussah.

Artikel vom 14.12.2005