31.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

PS-Giganten

Der Leistungswahn kennt
kaum noch Grenzen

Stärker, schneller, teuer: Den steigenden Benzinpreisen zum Trotz entwickeln die Autohersteller immer stärkere Motoren. Mehr als 400 PS für Serien-Pkw sind längst keine Seltenheit mehr.


An der Spitze der Entwicklung steht fraglos der Bugatti Veyron. Das schnellste jemals für den Straßenverkehr zugelassene Auto leistet 1001 PS, ist mehr als 400 Kilometer pro Stunde schnell und kostet um die 1,2 Millionen Euro. Der Acht-Liter-Motor benötigt einen Liter Sprit pro Kilometer, wenn er voll gefordert wird. Das technische Wunderwerk der VW-Tochter Bugatti steht im krassen Gegensatz zu dem Sparwunder, das der Ex-VW-Konzernchef Ferdinand Piëch vor einiger Zeit als Ein-Liter-Auto ankündigte. Es sollte fast 100 Kilometer mit einem Liter Treibstoff zurücklegen können. Die Pläne aber verschwanden in der Schublade. Inzwischen hat VW aber für 2006 erneut ein besonders sparsames Auto, Polo mit Dieselantrieb, angekündigt. Und natürlich haben auch die meisten anderen Hersteller Modelle im Angebot, die mit Benzin-Direkteinspritzung oder auch als Selbstzünder durchaus als sparsam zu bezeichnen sind. Das ist auch zwingend notwendig, um den Ausstoß an Stickoxiden zu verringern.
Andere Entwicklungen aber zielen genau ins Gegenteil. VW Touareg und Phaeton sind mit einem 450 PS starken Sechsliter-Zwölfzylinder zu haben. Dieses Aggregat sorgt mit viel Appetit auch in einem A8 für souveräne Fortbewegung. Apropos Audi: Die Ingolstädter werden 2006 den Supersportler R8 auf die Straße bringen. Unter der Haube könnte ein Fünf-Liter-V10-FSI-Triebwerk mit mehr als 600 PS arbeiten. Die sportliche Variante des A8, der S8, nimmt sich dagegen mit 450 PS fast bescheiden aus.
Natürlich lässt sich auch die Konkurrenz aus Stuttgart im PS-Spiel nicht lumpen. Im S 600 mit zwölf Zylindern »schwingen 517 Pferdchen die Hufe«, der neue 6,3 Liter V8 von AMG begnügt sich zwar mit 510 PS, dürfte aber an der Tankstelle mindestens ebenso häufig Station machen müssen.
Das gilt auch für die PS-Giganten aus München, die im 7er (Zwölfzylinder mit 445 PS) oder 6er und X5 (333 PS im V8) oder Jaguar (4,2-Liter Kompressor mit 395 PS). Dass Sportwagenhersteller wie Porsche, Ferrari, Lamborghini oder auch die bereits angesprochene Edelschmiede Bugatti nach immer mehr Leistung streben, liegt in der Natur  der Sache. Sie haben einen Ruf zu verteidigen, müssen ihre Muskeln spielen lassen, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können.
Doch dass sich angesichts Benzinpreis-Entwicklung und allgemeiner Kaufzurückhaltung der Verbraucher angesichts ihrer knappen Haushaltskassen auch fast alle anderen Hersteller mit ihren Massenprodukten an der Kraftmeierei beteiligen, ist nicht so ganz einfach zu verstehen. Opels muskelbepackte OPC Palette setzt ebenso voll auf die sportliche Note (240 und 255 PS-Motoren) wie Ford mit den St-Versionen (Focus mit 225 PS) oder VW mit Golf GTI und R 32 (200 beziehungsweise 250 PS).
Es ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass es für die einzelnen Unternehmen Sinn macht, die sportliche Nische zu besetzen, und damit entsprechend ambitionierten sowie betuchten Kunden des Hauses ein Angebot unterbreiten zu können. So kann ein möglicher Umstieg zu anderen Anbietern verhindert werden und gleichzeitig wird Kompetenz demonstriert. Zudem sind die Renner immer wieder echte Hingucker.
Wesentlich wichtiger in diesen Zeiten aber sollte Kompetenz bei sparsamen, umweltfreundlichen und zudem noch möglichst preiswerten Autos sein. Mit solchen Fahrzeugen lassen sich Sympathien auf breiter Front gewinnen, sie sorgen für ein positives Image.
Das zeigt sich derzeit auch in den USA, einem Markt, auf dem bislang mächtige Geländewagen und Pickups mit Achtzylinder-Triebwerken den Ton angaben. Inzwischen sorgen auch dort steigende Treibstoffpreise dafür, dass ein Umdenken stattfindet. Hybrid-Fahrzeuge verkaufen sich wie »geschnitten Brot« und die Nachfrage nach verbrauchsgünstigen Autos steigt drastisch. Selbst Diesel-Antriebe kommen im Land der grenzenlosen Benzinvernichter in Mode. Das macht Hoffnung auf ein generelles Umdenken der Autobauer.

Ein Beitrag von
Wolfgang Schäffer

Artikel vom 31.12.2005