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Lebenslang ohne Hoffnung

US-Gesetze lassen 2225 Jugendliche Extrem-Strafen verbüßen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Mindestens 2225 jugendliche Straftäter sitzen in US-Gefängnissen lebenslange Haftstrafen ohne Hoffnung auf Bewährung ab. Das haben Human Rights Watch und Amnesty International in einer gemeinsamen Untersuchung festgestellt.

Jeder sechste minderjährige Straftäter - die meisten von ihnen sind inzwischen erwachsen - war zwischen 13 und 15 Jahre alt, als er ein Verbrechen beging. Geschätzte 59 Prozent bekamen bei ihrer allerersten Verurteilung lebenslange Gefängnisstrafen ohne Aussicht auf Bewährung. In 42 US-Bundesstaaten ist es derzeit möglich, Jugendliche lebenslang, ohne eine Möglichkeit auf Bewährung hinter Gitter zu bringen. Ê
Der 157-seitige Bericht »Der Rest ihres Lebens: Lebenslänglich ohne Bewährung für minderjährige Straftäter in den USA« untersucht, was passiert, wenn man Jugendliche mit Erwachsenen ins Gefängnis sperrt und sie auch vor Gericht als solche behandelt.
In der Untersuchung werden Daten auf Bundes- und Landesebene analysiert, die davor nicht erfasst wurden. Anhand dieser Zahlen konnten die Organisationen nationale Tendenzen bis Mitte 2004 verfolgen sowie die ethnische Abstammung, die Geschichte und die Verbrechen der jungen Straftäter analysieren. Ê
»Jugendliche, die schwere Straftaten begehen, sollen nicht ungeschoren davonkommen«, erklärte Alison Parker, Senior Researcher bei Human Rights Watch und Autorin des Berichts. »Aber wenn sie zum Wählen oder Zigarettenkaufen zu jung sind, dann sind sie auch zu jung, um den Rest ihres Lebens hinter Gitter zu verbringen.« Ê
Immer weniger Jugendliche begehen schwere Verbrechen, wie zum Beispiel Mord. Aber immer mehr werden zu lebenslänglichen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. 1990 wurden 2 234 Jugendliche wegen Mordes verurteilt und 2,9 Prozent bekamen lebenslänglich. 2000 wurden nur 1006 Jugendliche verurteilt - um 55 Prozent weniger. Doch neun Prozent mussten lebenslänglich hinter Gitter (+216 Prozent). Ê
»Man muss Richtern und Anklägern mehr Spielraum lassen«, meinte William F. Schulz, Direktor von Amnesty International USA. »Sie brauchen mehr Möglichkeiten, sonst bleiben die Gerichte Abfertigungshallen, wo Jugendliche einfach lebenslang ohne Bewährung bekommen und ihnen jede Chance auf Besserung genommen wird.«
In 26 US-Bundesstaaten muss jeder, der einen schweren Mord begeht, zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt werden - ohne Rücksichtnahme auf das Alter des Täters. Human Rights Watch und Amnesty International stellten fest, dass 26 Prozent für »Felony Murder« verurteilt wurden. Das bedeutet, dass jeder, der an einem Verbrechen beteiligt ist, bei dem jemand getötet wird, am Mord schuld ist, auch wenn diese Person nicht direkt den Tod verursacht hat. Ê
Ein Beispiel dafür ist der Fall des 15-jährigen Peter A.. Er hatte sich mit zwei Bekannten seines älteren Bruders zusammengetan, um einen Raubüberfall zu begehen. Er wartete in einem Lieferwagen, als einer der Bekannten die zwei Raubopfer ermordete. »Ich war zwar dabei, aber ich habe auf keinen geschossen und niemanden getötet«, erzählte Peter. Trotzdem wurde er für den Doppelmord verantwortlich gemacht, da im Verfahren festgestellt wurde, dass er den Lieferwagen gestohlen hatte, mit dem die Täter fuhren.
Auch die weitverbreitete und unbegründete Angst vor jugendlichen »Übertätern« - gewalttätige Teenager mit einer langen kriminellen Geschichte, die Jagd auf die Gesellschaft machen - habe Bundesstaaten dazu veranlasst, Kinder vor Gericht immer öfter als Erwachsene zu behandeln, so die Menschenrechtsorganisationen.
Zehn US-Staaten haben kein Mindestalter für lebenslange Gefängnisstrafen gesetzt. Derzeit sind mindestens sechs Jugendliche in Haft, die nur 13 Jahre alt waren, als sie ihre Tat begingen. Diese Minderjährigen befinden sich dem Bericht zufolge in Gefängnissen für Erwachsene und müssen zwischen Banden, Erwachsenen auf der Suche nach Sex und unter schlimmsten Bedingungen leben. Ê

Artikel vom 14.12.2005