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Sie darf ihren Mann nicht sehen

Landwirt nach Schlaganfall im Pflegeheim - Betreuer verhindert jeden Kontakt

Von Christian Althoff
Büren (WB). Eine Bauersfrau aus Büren (Kreis Paderborn) darf seit Monaten ihren Ehemann nicht mehr besuchen, der in einem Altenpflegeheim in Detmold (Kreis Lippe) untergebracht ist. »Auch andere Verwandte werden nicht zu ihm gelassen. Der alte Mann lebt beinahe wie ein Häftling«, sagt Anwalt Michael Tröster aus Detmold, der die Ehefrau vertritt.
Johannes S. und seine Ehefrau Lilit: Dieses Foto entstand, als Verwandte den Mann noch im Pflegeheim besuchen durften.

Es war ein ungleiches Paar, das vor elf Jahren vor den Standesbeamten getreten war: Landwirt Johannes S. (55) hatte die erst 20 Jahre alte Flüchtlingsfrau Lilit S. aus Armenien geheiratet. »Er hatte mir ein halbes Jahr den Hof gemacht«, erinnert sich die Frau lächelnd. »Er tat alles für mich, war fürsorglich, trank nicht und arbeitete viel. Was kann man sonst noch von einem Mann erwarten?«
Lilit S. führte fortan den Haushalt des Bauern, er selbst kümmerte sich um seine Schweine und die 60 Hektar Land, die zu seinem Hof gehörten - bis Johannes S. 1996 einen Schlaganfall erlitt. Weil damals auch noch eine Schizophrenie mit vermindertem Urteilsvermögen diagnostiziert wurde, stellte das Amtsgericht Paderborn dem Bauern eine Berufsbetreuerin zur Seite, die sich um alle Angelegenheiten kümmern sollte.
Lilit S. absolvierte damals ein dreimonatiges Praktikum in einem Altersheim, um ihren Mann zu Hause versorgen zu können. »Er war nur in Pflegestufe 1 eingruppiert. Trotzdem steckte ihn die Betreuerin in ein Heim, weil sie meinte, da sei er besser aufgehoben«, erzählt die heute 30-Jährige. 1998 seit die Situation eskaliert: »Die Betreuerin verlegte meinen Mann heimlich ins Altenheim Waldschlößchen nach Detmold, ohne mich zu informieren.« Monatelang habe sie nicht gewusst, wo ihr Mann geblieben war: »Als ich endlich seine Anschrift erfuhr und Johannes besuchte, fiel er mir weinend um den Hals. Es stellte sich heraus, dass man ihm erzählt hatte, ich hätte ihn verlassen!« Die Betreuerin sei sogar so weit gegangen, im Namen ihres Mannes die Scheidung einzureichen, erzählt Lilit S. Vor Gericht habe ihr Mann dann aber erklärt, er wolle auf gar keinen Fall geschieden werden.
Rechtsanwalt Tröster: »Mit Betreuungen ist viel Geld zu verdienen. Möglicherweise wollte man die Ehefrau mit einer Scheidung loswerden, um ungestörter über das Vermögen des Bauern verfügen zu können.« Angeblich seien nämlich bereits Grundstücke des Landwirts zu Geld gemacht worden: »Genau wissen wir das aber nicht, weil die Ehefrau keinen Zugriff auf das Konto oder andere Werte ihres Mannes hat.«
Als die Betreuerin jetzt Johannes S. an einen Kollegen abgeben wollte, nutzte der Rechtsanwalt die Gelegenheit zu einer gerichtlichen Anhörung des Landwirtes im Altenheim. Dort sagte Johannes S. im Juli einem Richter, er sei weiterhin mit einem Berufsbetreuer einverstanden, »weil meine Frau das ganze Geld durchbringt.« Rechtsanwalt Tröster: »In Wahrheit lebt die Ehefrau von 500 Euro, die ihr der Betreuer monatlich zur Verfügung stellt, und dem Geld, das sie als Halbtagskraft in einer Fabrik verdient. Später habe ich erfahren, dass der 67 Jahre alte Mann vor der richterlichen Anhörung zwei Stunden lang bearbeitet worden war.«
Seit jener Anhörung wird Johannes S. von den Mitarbeiterinnen des Altersheims Waldschlößchen abgeschirmt, Verwandte werden nicht mehr vorgelassen. Sein Betreuer aus Paderborn, der namentlich nicht genannt werden möchte, erklärt das so: »Der alte Mann braucht Ruhe. Jeder Besuch wäre eine zu große psychische Belastung für ihn.« Johannes S. habe sich erneut entschlossen, die Scheidung einzureichen: »Das ist sein erklärter Wille, den ich umsetzen werde. Die Ehefrau muss lernen, das zu akzeptieren.«
Das will Lilit S. aber nicht: »Johannes ist ein vertrauensseeliger Mensch. Wenn der Betreuer ihm einen Scheidungsantrag vorlegt, wird er ihn unterschreiben - so, wie er alles unterschreibt.« Es mache sie wütend, dass ihrem Mann erzählt werde, sie bringe sein Geld durch: »Die Wahrheit ist: Als vor zwei Wochen unser Einbaukühlschrank kaputtging und ich den Betreuer um 344 Euro bat, genehmigte er mir nur 229 Euro für ein Gerät, das sich nicht einbauen lässt.« Der Betreuer: »Die Ehe wird demnächst geschieden. Warum soll sich die Frau vorher noch einen Luxuskühlschrank kaufen?«
Johannes S. durfte seine Meinung zu der Auseinandersetzung übrigens nicht sagen: Als ein Reporter ihn am Freitag besuchen wollte, versicherten vier Mitarbeiterinnen des Altenheims Waldschlößchen wahrheitswidrig, eine Person namens Johannes S. habe dort nie gewohnt und sei ihnen gänzlich unbekannt. Rechtsanwalt Tröster: »Es grenzt an Isolationshaft, einem Menschen auf diese Weise jeden Kontakt zu seiner Umwelt zu verwehren.«

Artikel vom 10.12.2005