12.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wolfgang Schäuble

»Nachrichtendienste sind auf die Zusammenarbeit mit anderen Diensten angewiesen.«

Leitartikel
Entführt von der CIA?

Erst klar sehen, dann urteilen


Von Reinhard Brockmann
In dieser Woche soll Klarheit geschaffen werden mit einem »umfassenden Bericht« zu den Flugbewegungen der CIA über Deutschland und dem Entführungsfall des Deutsch-Libanesen Khaled el Masri. In Berlin wurden auch gestern die Akten geprüft, um über alle Abläufe zu klären. Vor allem interessiert: Welches Mitglied der vorigen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hat wann von welchen Vorgängen gewusst.
Wunderbar: Dann müsste schon bald die Kuh vom Eis sein!
Weit gefehlt: Wenn Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde im Bundestag Stellung genommen hat und er mit Ex-Innenminister Otto Schily im geheimen Parlamentarischen Kontrollgremium weiteres dargelegt hat, werden einfach neue Fragen aufgeworfen. Nur ein Beispiel: Gregor Gysi von der Linkspartei nennt Schilys Schweigen vor den Mikrofonen »krankhaft absurd«. Wir dürfen jetzt schon einmal die Phantasie spielen lassen, was der PDSED-Populist wohl als nächstes sagen wird, wenn Schily in den zuständigen Gremien gehört worden ist.
Es gibt derzeit die abenteuerlichsten Vermutungen, die weder zu belegen noch zu entkräften sind. Selbst der »Spiegel« hat in seiner heutigen Ausgabe nach einer Woche intensivster Recherche nicht mehr »Schuld« aufdecken können als eine politische Unterlassung: Das Auswärtige Amt soll auf einen diplomatischen Protest verzichtet haben. Man kann es auch anders ausdrücken: Schröder hatte 2004 schon genug politisches Porzellan zerschlagen, deshalb hielt der seinerzeit einen Deut Bush-freundlichere Außenminister den Ball etwas flacher.
Na und? Was wirklich fehlt ist Sachinformation: Wie ein Ritter ohne Furcht erscheint Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Der sieht »bei Berücksichtigung aller vorliegenden Informationen« zu dem Fall der bislang lediglich vermuteten Entführung Khaled el-Masris »derzeit keinerlei Anhaltspunkt für irgendwelche Verstöße Mitglieder der Bundesregierung und anderer Verantwortlicher in Deutschland«.
Schäuble stand an diesem Wochenende ziemlich allein mit der Warnung vor einer Beeinträchtigung der nämlich gewünschten Zusammenarbeit der Geheimdienste. »Bei den Nachrichtendiensten muss darauf geachtet werden, dass deren Leistungsfähigkeit und auch ihre Fähigkeiten zur internationalen Zusammenarbeit nicht beschädigt werden.«
Die Nachrichtendienste sind auf die Zusammenarbeit und Informationsbeschaffung mit anderen Diensten angewiesen. Das setzt Vertraulichkeit und auch Quellenschutz voraus. Um nicht missverstanden zu werden: Guido Westerwelles Verlangen, die Entführer El Masris, so es wirklich eine Entführung gegeben hat, müssten strafrechtlich verfolgt werden, ist absolut legitim. Nicht jetzt schon, aber am Ende könnte es auch einen internationalen Haftbefehl geben, egal ob die Täter CIA-Agenten waren oder nicht.

Artikel vom 12.12.2005