10.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Auf kunstvolle Weise verknüpft der Evangelist Lukas die Erzählung von der Geburt Jesu mit der eines etwas älteren Knaben, der den Namen Johannes erhalten soll (Luk. 1 u. 2). Dieser geht später als gewaltiger Bußprediger in die Geschichte ein. Da viele seiner Zuhörer sich zum Zeichen ihrer Umkehr von ihm im Jordan taufen lassen, bekommt er den Beinamen »der Täufer«.
In den Vorgeschichten beider Kinder findet sich - wie so manches Mal an hervorgehobener Stelle in der Bibel - das Motiv der wunderbaren Geburt: Während Maria, das unbedeutende junge Mädchen vom Lande, es nicht fassen kann, daß ausgerechnet sie dazu bestimmt sein soll, den Sohn Gottes zur Welt zu bringen, ist Elisabeth, die Mutter des Johannes, eigentlich schon zu alt, um überhaupt noch ein Kind zu bekommen. Außerdem gilt sie als unfruchtbar.
Doch der Blick fällt zunächst nicht auf sie, sondern auf Zacharias, ihren Mann. Der ist einer der zahlreichen Priester am Tempel von Jerusalem, wohl schon jahrzehntelang. Über seine innere Befindlichkeit verrät der Evangelist nichts. Doch könnte es sein, daß ihm sein Amt längst zur Routine geworden ist, in der er sich langweilt und für sich selbst nichts Besonderes mehr erwartet als nur noch auf das Ausscheiden aus dem Dienst aus Altersgründen. Seine Hoffnung auch einmal auf Nachkommen setzen zu können und an deren Leben teilzuhaben, ist ihm versagt geblieben. So geht es manchem: Das Leben plätschert ereignislos dahin; Höhepunkte und Glanzlichter sind nicht mehr in Sicht. Das Dasein scheint in immer kleineren Wellen zu verebben.
In solch einer, womöglich eher trüben Verfassung erhält Zacharias eines Tages unerwarteten Besuch. Und der überbringt ihm noch dazu eine Botschaft, die den Rahmen des Erwarteten völlig sprengt und ihn aus der Bahn wirft. Es ist der Engel Gabriel, der ihn wissen läßt: »Deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Johannes geben« (Luk. 1, 13). Doch nicht genug damit: Gott hat Großes mit diesem Kinde vor, und es soll einmal in seiner Heilsgeschichte eine entscheidende Rolle spielen.
Zacharias, ganz Mensch, fällt dazu nichts anderes ein, als zu fragen: »Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt, und meine Frau ist betagt« (Luk. 1, 18). Eine konkrete Antwort wird ihm darauf nicht zuteil. Statt dessen wird er mit Stummheit geschlagen, und beginnt erst wieder zu reden, als er erkennt, daß die Verheißung des Engels keine leeren Worte und kein Truggebilde waren.
Gott kann einem Menschen die Sprache verschlagen, so daß er sprachlos wird und es seine Zeit braucht, bis er wieder einen klaren Kopf bekommt und sein Mund sich allmählich wieder zu öffnen beginnt. Eher wird es mit Leiderfahrungen in Verbindung gebracht, daß ein Mensch verstummt und darunter sogar versteinert. Aber auch das unverhoffte Glück und eine unerwartete Wendung zum Guten vermögen einen völlig unvorbereitet zu treffen, so daß er sich fragt: Kann ich das glauben? Gilt es mir wirklich? Oder bilde ich es mir vielleicht nur ein?
Zacharias braucht lange, um zu begreifen, was mit ihm und an ihm geschehen ist. Aber als sich sein Mund wieder öffnet, da ist es kein belangloses Zeug, das daraus hervorquillt. Sondern es formt sich einer der schönsten Lobgesänge, den die Bibel kennt. Dieser beginnt mit den Worten: »Gelobet sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk.« Und es heißt darin weiter, daß dieser Gott »erscheine denen, / die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes« (Luk. 1, 68. 79).
Was Zacharias in großem Stil erfährt, das gibt es auch im kleineren Zuschnitt einer unauffälligen Existenz: Was Gott alles einfällt, kann einem die Sprache verschlagen,. Vor ihm ist niemand vor Überraschungen sicher, solange er lebt. Gott hat Mittel genug, um uns in ihm den tragenden Grund des Dasein finden zu lassen und ihn dafür zu loben. Das heißt: in Dankbarkeit und mit Zuversicht - kurz: adventlich - zu leben.

Artikel vom 10.12.2005