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Leben in zwei Welten
als Gesellschaftsproblem

2040 hat Bielefeld einen Ausländeranteil von 40 Prozent

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Das Problem »schlummert« in den Kindergärten. Von den 10 500 Kindergartenkindern in Bielefeld haben mittlerweile 45 Prozent einen »Migrationshintergrund«, stammen aus Familien, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind. »Im Jahr 2040 werden 40 Prozent der Bürger Bielefelds ausländische Wurzeln haben«, sagt Christiane Cascante (Bürgergemeinschaft/BfB).

Bielefeld steht vor gewaltigen gesellschaftlichen Umbrüchen. Gerade vor diesem Hintergrund komme dem städtischen Migrationsrat eine besondere Bedeutung zu, meint Andreas Rüther (CDU). Die beiden Kommunalpolitiker gehören dem seit gut einem Jahr bestehenden Gremium an.
War der frühere Ausländerbeirat eine Vertretung, die ausschließlich mit Migranten besetzt war, ist der Migrationsrat neuer Prägung ein Gremium, dem auch Vertreter der Ratsparteien - drei von der CDU/Bürgergemeinschaft, zwei von SPD und Grünen - angehören. Zusammen mit den 14 direkt gewählten Migrantenvertretern können sie wie ein Ratsausschuss Beschlüsse fassen. Eine Neuerung, die eine Experimentierklausel im Landesrecht möglich machte.
»Dadurch bekommt die Arbeit mehr Gewicht«, sagt Cascante. Zusammen mit Rüther wünscht sie sich, dass das Gremium ein stärkeres Selbstverständnis entwickelt. »Die Migranten sollten sich auch mehr öffnen«, meint Rüther.
Die Menschen, die in künftigen Jahrzehnten aller Voraussicht nach deutlich mehr als ein Drittel der Bielefelder Stadtbevölkerung stellen werden, geben sich bedeckt. Insbesondere unter der türkischstämmigen Bevölkerung gebe es »eine große Zurückhaltung gegenüber allem, was auch nur entfernt mit einem Amt zusammenhängt«, formuliert es die BfB-Politikerin Cascante.
Dabei lasse sich durchaus einiges in Bewegung setzen. So gebe es in den Stadtbezirken inzwischen »Mütterkurse« für türkische Frauen, die oft über keinerlei Deutschkenntnisse verfügten. Ein Beitrag zu besseren Integration sei auch die Planung im Baugebiet Breipohls Hof, wo 30 Prozent der Grundstücke Migrantenfamilien vorbehalten bleiben. Verbessert werden soll die Sprachförderung. Denn von den 4700 Kindergartenkindern aus ausländischen Familien sprechen 1500 kein Deutsch. Rüther: »Das Scheitern in der Schule ist damit fast programmiert.«
Doch die Integration dürfe keine Einbahnstraße sein, meint Cascante. Die Migranten, die sich im Migrationsrat engagierten, hätten dies erkannt, lobt sie ausdrücklich deren Engagement. Doch die Ergebnisse der Arbeit müssten auch in die Vereine und Organisationen der Ausländer kommuniziert werden. Nur so lasse sich verhindert, dass die Menschen ausländischer Herkunft dauerhaft ein Leben zwischen zwei Welten führten.
Ihren Appell für ein neues Selbstverständnis des Migrationsrates verstehen sowohl Rüther als auch Cascante ausdrücklich nicht als parteipolitischen Schachzug, sondern »als dringend erforderlich« angesichts der anstehenden Herausforderungen.

Artikel vom 09.12.2005