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Post-Dachstuhl
fährt per Lkw
in die Slowakei

Ausschlachtung für guten Zweck

Von Markus Poch
Brackwede (WB). Das alte Postamt Brackwede steht, wie mehrfach berichtet, unmittelbar vor seinem Abriss. Manch einen Brackweder mag die Vorstellung mit Wehmut erfüllen, dass die Mauern an der Germanenstraße/Ecke Stadtring nach 46 Jahren fallen sollen. Da ist es ein kleiner Trost zu wissen, dass Teile des Gebäudes noch einen guten Zweck erfüllen.

Im slowakischen Dörfchen Kisújfalu, nahe der Grenze zu Ungarn, werden Dachstuhl und Ziegel sehnlichst erwartet. Sie sollen in einem neuen Behindertenheim verbaut werden. Sechs kräftige und handwerklich geschickte Männer aus Kisújfalu, die zu der dort ansässigen ungarischen Minderheit gehören, sind seit Montag dabei, das Dach abzudecken und die schweren Balken zu demontieren. Bis zum Donnerstag der nächsten Woche haben sie noch Zeit, Baumaterialien sowie Fenster und Heizkörper für ihre Zwecke zu retten. Dann rollen die Abrissbagger an, um das Gelände für den Lidl-Markt herzurichten.
Beaufsichtigt und koordiniert wird das Hilfsprojekt von Reinhard Fischbach. Der 55-Jährige ist ehrenamtlicher Sprecher und Motor der Diakonischen Gemeinschaft Nazareth in den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel. Sie kooperiert eng und schon seit zehn Jahren mit der »Názáret- Stiftung« in Ungarn. Abgesandter dieser Stiftung in Deutschland ist seit Juni 2004 der Pastor Zsolt Burján. Der 35-Jährige vermittelt die in Deutschland ausrangierten Bauteile, Möbel, Kleidung und Pflegehilfsmittel an insgesamt 60 diakonische Einrichtungen in Ungarn, Rumänien und der Slowakei. Es sind zum Teil sehr ärmliche Behinderten- und Altenheime, Kinderheime, Waisenhäuser.
Bis zu 20 000 alte Dachziegel (60 Paletten à 800 Kilogramm) und alle Dachbalken inklusive der Schrauben und Verbindungsteile sollen noch vor Weihnachten auf mehreren Lkw ihre Reise an die Donau antreten. Für die Leute der ungarischen Minderheit in Kisújfalu ist das Ende der alten Brackweder Post deshalb wie ein warmer Regen. »Was in Deutschland weggeschmissen wird, ist bei uns noch viel wert«, sagt Pastor Burján. »Ich bin sehr dankbar dafür, dass Bethel uns finanziell so großzügig unterstützt.« Die Diakonische Gemeinschaft Nazareth mit ihren ehrenamtlichen Förderern finanziert nicht nur Anfahrt, Unterbringung und Verpflegung der engagierten Helfer aus der Slowakei, sie zahlt - ausschließlich aus Spendengeldern - auch den Transport der Güter in deren Heimat. Außerdem sichert sie Zsolt Burjáns Arbeitsplatz in Deutschland. Um die Kooperation weiter zu festigen, war Reinhard Fischbach noch diesen Mittwoch zu einem Blitzbesuch in Budapest - mit einem Flugticket für kassenfreundliche 40 Euro. Im Gespräch mit dem dortigen Bischof Gustav Bölcskei regelte er die Basis für ein permanentes Materiallager in Budapest. Von dort aus könnten hilfebedürftige Einrichtungen jederzeit noch schneller und unbürokratischer als jetzt versorgt werden. Schon Mitte 2006 soll ein solches Lager eingerichtet sein. »Unser langfristiges Ziel ist, dass alle Bauträger im Bielefelder Raum, die ein Objekt abreißen lassen wollen, sich zunächst bei uns melden«, sagt Fischbach. »Wir würden vor jedem Abriss klären, welche Materialien wir für Ungarn gebrauchen können.« Pastor Zsolt Burján macht darauf aufmerksam, dass außerdem viel Geld zu sparen ist, wenn Gebäude zuvor ausgeschlachtet werden. Allein beim Abriss des Postamtes spare der Investor nach seiner Schätzung etwa 20 000 Euro, weil Dachstuhl und Ziegel abgebaut wurden.

Artikel vom 09.12.2005