10.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Marcel Reif,
TV-Fußballtreporter

»Das Schöne
am Fußball ist: Das Runde muss ins Eckige.«

Leitartikel
WM-Spektakel, Politik u. a.

Auf'm Platz und voll daneben


Von Rolf Dressler
Man darf gespannt sein, wie viele Menschen allein hier in Deutschland am Freitagabend bei der liebreizenden Top-Model-Moderatorin Heidi Klum bildschirmmäßig zu Gast waren.
Eigentlich hätte es ja für jedermann nicht nur hundertprozentige Patrioten-Pflicht, sondern eine blanke Selbstverständlichkeit sein müssen, gespannt wie der sprichwörtliche »Flitzebogen« dem Spektakel der WM-Gruppenauslosung zuzuschauen. Doch soll es - den Fußball-Göttern sei's geklagt - in unserem Zweiund- achtzigkommasoundsoviel-Millionen-Völkchen ja noch immer ein letztes versprengtes Resttrüpplein unbegeisterbarer Ignoranten geben, die dem galaktischen Kult-Rummel um das runde Leder absolut nichts abgewinnen können.
Aber dem Vernehmen nach sind diese bedauernswerten Außenseiter der Gesellschaft weder mit herkömmlichen noch sonstwelchen Wundermitteln zu heilen. Deshalb ist völlig ungewiss, was sie von heute an bis zum Abpfiff des Endspiels der glorreichen Kicker-Weltmeisterschaft am 9. Juli 2006 ersatzweise wohl so treiben und wohin sie sich trotzig schmollend zurückziehen werden. Die überwältigende Mehrheit der erwartungsfrohen Massen dürfte das freilich herzlich wenig kümmern. Denn für das Fußball-Fanvolk gilt von Stund an - sieben geschlagene Monate lang - nur noch die allerliebste Parole: Wichtig ist auf'm Platz!
Was im Grundsatz durchaus zutrifft und auch wieder nicht, weil sich in unseren Fußball-Arenen immer wieder auch leicht außerhalb des kreideweißen Liniengevierts absonderliche Dinge zutragen. Nach dem zweifelhaften Vorbild diverser heißsporniger Spieler erprobte unlängst nun sogar auch schon mal ein Erstliga-Trainer die eigenen Dickschädel-Qualitäten hautnah am gegnerischen Mann. Heißa, lass' die Knochen knacken! Diese Stabsübung kostete Norbert Meier verdientermaßen den Posten des Chef-Übungsleiters beim Ballspiel-Club MSV Duisburg.
Wer indes noch nicht vollkommen von der WM-Fußball-Show umfangen ist, stößt auf verblüffende Parallelen zum Politikgeschäft. Auch dort kämpfen etwa CDU-Politiker nicht »auf'm Platz« mit offenem Visier, wie es sich gehören sollte, sondern hart daneben, sozusagen in freier Wildbahn diesseits der Seitenlinie.
Erst kürzlich vergriff sich Baden-Württembergs CDU-Regierungschef Günter Oettinger gründlich an der abstrusen Idee, die über 40 Jahre jungen alten (!?) Berufstätigen sollten künftig für weniger Lohn und weniger Urlaub bis (mindestens) 67 arbeiten.
Nun erklärt Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulf hintersinnig, natürlich solle Angela Merkel Kanzlerin sein und bleiben, doch weil sie dem Koalitionspartner SPD »sehr stark verpflichtet« sei, könne leider nicht sie »das Profil der CDU schärfen«. Das könnten nur die CDU-Landesfürsten selbst besorgen.
Parteischädliche Querschüsse - aber nicht fair »auf'm Platz«, sondern foul. Voll daneben.

Artikel vom 10.12.2005