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Lehrpfad durch
den Irrgarten

Abstrakte Bilder von Hann Trier

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Mit einer Retrospektive auf das Werk des rheinischen Künstlers Hann Trier (1915-1999) erinnert die Städtische Galerie Paderborn an einen der bedeutendsten Vertreter der Abstrakten Kunst in Deutschland nach 1945.
Das »Untier II« aus dem Jahre 1948 ist eine der frühesten Arbeiten von Hann Trier. Foto: WB
Wohl selten erscheint das Werk eines Nachkriegskünstlers so leicht und unbeschwert wie in dieser Schau, die von Sonntag an (Eröffnung 11.15 Uhr) bis zum 5. März zu sehen ist. In seinen Bildern aus einer Zeitpanne von 50 Jahren bekennt sich Trier zu einem unbekümmerten Individualismus. Wo viele seiner Zeitgenossen den Malgrund mit politischer Symbolik und gesellschaftlichem Tiefgang befrachten, geht es dem gebürtigen Düsseldorfer nur um eins: »Die Fläche zur Bewegung bringen.«
Kaum zu glauben, dass der zunächst als Technischer Zeichner und Werbegraphiker im Broterwerb stehende Freigeist seine künstlerische Ausbildung in der Zeit des Nationalsozialismus »genossen« hat, so kosmopolitisch geht er nach dem Krieg zu Werke. Seiner ganz auf die Farbwirkung ausgerichteten Malweise bleibt er bis zu seinem Tode treu. Natürlich lässt sich beim Rundgang durch die Ausstellung eine künstlerische Entwicklung ablesen - und doch wirkt der Schaffenskreis in sich selten geschlossen.
Die kubistische Frühphase, in Paderborn mit den Fabelwesen »Untier I und II« vertreten, lässt Trier schnell hinter sich. Die »picassoesk« mit gegeneinander gesetzten Farbflächen und aus verschobener Perspektive gemalten Geschöpfe bilden zugleich die einzigen figürlichen Motive der Werkschau mit knapp 60 Arbeiten aus den Jahren 1948 bis 1998. Dann schließt der lange Zeit als Dozent an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin tätige Maler sein unerschöpfliches abstraktes Phantasiereich auf.
Dem Betrachter eröffnet Trier mit seinen Leinwänden übernatürliche Bildlandschaften, in denen der »Spaziergänger« mittels schwarzer Linien an harmonisch kombinierten Farbfeldern, lichten Höhlen und schrundigen Abgründen vorbeigeleitet wird. Die markierten »Wege« ändern immer wieder ihre Richtung, drehen sich im Kreise und münden bisweilen auch in ein »Loch«. Wie in einem labyrinthischen Irrgarten muss man lernen, sich zurecht zu finden.
Hann Trier plant seine Bilder nicht, er lässt dem künstlerischen Ausdruckswillen buchstäblich freie Hand - und nicht nur eine! Als rechts wie links begabter Maler widmet er sich seinen Bildern mit verdoppelter Schaffenskraft: In jeder Hand einen Pinsel lässt er beide Arme gleichzeitig über die Leinwand kreisen, was zu den typischen maschenartigen Strukturen führt. Regelrechte Netzgewebe liegen über den Bildern aus den späten 50er Jahren.
In den 60er Jahren werden die Motive dann deutlich »floraler«. Blätter, Rispen und Blüten exotischer Pflanzen meint man auf den großen Formaten zu erkennen. Zudem hellen sich die Bilder zunehmend auf. Wo früher Lichtes nur als Freistelle zwischen zwei Farbflächen schimmerte, trägt Trier jetzt auch pastoses Weiß auf.
In seinen letzten Lebensjahrzehnten kehrt der Künstler behutsam an die Nahtstelle zur realen Bildwelt zurück. »Winterreise« heißt eine von Schuberts Gedichtvertonung inspirierte vierteilige Arbeit - vielleicht das schönste Stück der ganzen Ausstellung (Katalog 18 Euro). Hier fährt der Betrachter mit den Augen durch eine tief verschneite Winterlandschaft mit dunklen Tannen und kantigen Felsvorsprüngen - und im Vordergrund wärmt rotzüngig ein prasselndes Lagerfeuer.

Artikel vom 10.12.2005