08.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Arbeiter um 40 Prozent
ihres Lohns gebracht?

Zoll-Razzia auf Ostwestfalens größter Baustelle

Von Christian Althoff
Minden (WB). Razzia des Hauptzollamtes Bielefeld: 80 Beamte aus Paderborn, Herford, Bielefeld und Hamm haben gestern Morgen auf der Baustelle des Mindener Klinikums 142 Arbeiter überprüft.
Polier Karl-Heinz Böse: »Bei uns läuft alles legal.«
Die Baustelle des Mindener Klinikums gestern Morgen im Scheinwerferlicht der Kräne. Das Krankenhaus soll 2007 eröffnet werden.
Auf 23 Hektar entsteht dort bis 2007 für 210 Millionen Euro ein neues Krankenhaus - die größte Baustelle Ostwestfalens. Die Industrie-Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt befürchtet allerdings, dass der Bau unter Umgehung deutscher Gesetze von ausländischen Billigarbeitern hochgezogen wird, die angeblich um 40 Prozent ihres Lohns betrogen werden.
Deutsche Firmen setzen in Minden Kroaten und Slowenen zum Eisenbiegen, Einschalen und Betonieren ein. »Je nach Lohngruppe steht ihnen der gesetzliche Mindeststundenlohn von 10,20 beziehungsweise 12,30 Euro zu«, sagt Irmgard Schonemeyer-Hüttemann vom Hauptzollamt Bielefeld. Für dieses Geld fände man auch deutsche Bauarbeiter, von denen jeder vierte in Ostwestfalen-Lippe arbeitslos sei, sagt Gewerkschaftssekretär Bodo Matthey: »Der Haken ist allerdings, dass der Mindestlohn tatsächlich nur auf dem Papier gezahlt wird.« So kennt die Gewerkschaft Lohnabrechnungen eines Unternehmens aus Oberhausen, auf denen den in Minden arbeitenden Kroaten von ihrem gesetzlichen Mindestlohn wieder 40 Prozent abgezogen worden sind. »Angeblich hat der Arbeitgeber diese 40 Prozent direkt an die Familie des Arbeiters in Kroatien gezahlt«, sagt Bodo Matthey. Tatsächlich werde aber gar kein Geld auf den Balkan überwiesen.
Sind solche angeblichen verdeckt gezahlten Dumpinglöhne also der Grund für den Einsatz ausländischer Arbeiter? »Unsinn!«, wettert Karl-Heinz Böse, der als Polier des Unternehmens Temme (Porta Westfalica) für 60 slowenische Eisenflechter zuständig ist. »Gehen Sie mal zum Arbeitsamt. Da finden Sie einfach keine qualifizierten Kräfte!«, meint er.
Die 80 Zollbeamten waren gestern Morgen mit 29 Wagen vorgefahren. Sie riegelten die Großbaustelle ab und versammelten die 142 Arbeiter in der Kantine. Von vier Dolmetschern unterstützt befragten sie alle Beschäftigten und trugen die Antworten in ein dreiseitiges Formular ein. Stephan Peters, Sprecher des Hauptzollamtes Bielefeld: »Wir fragen nach den Arbeitszeiten, dem Lohn, wie er gezahlt wird, welche Abzüge es gibt und vielen anderen Dingen.«
Die Angaben der Arbeiter werden in den kommenden Wochen mit den Buchhaltungen der Baufirmen verglichen. »Ein enormer Aufwand, aber nur so können mögliche Unstimmigkeiten oder Tricks aufgedeckt werden«, sagte Stephan Peters.
Erst nach Abschluss dieser Ermittlungen wird feststehen, ob sich der Lohndumping-Verdacht der Gewerkschaft bestätigt.

Artikel vom 08.12.2005