31.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mit »Barby«
auf Abwegen
im Allgäu
Von Kleidung und der Vielfalt der textilen Welten
Lange hatte er sich von ihr umgarnen lassen. Ihre Augen, ihr Mund, der Duft ihrer Haare, ihre Figur...
Ob in barockem Brokat, burschikoser Baumwolle, lockerem Leinen oder sinnlicher Seide - immer war sie für ihn der Stoff, aus dem die Träume sind.
Als er merkte, dass er sich da in etwas verstrickt hatte, war es demzufolge schon zu spät. »Kleider machen Leute«, hatte sie ihn stets mit verführerischem Lächeln gelehrt, wenn sie mal wieder shoppen ging: »Alles nur für dich...« Doch längst hatte sie in dieser Beziehung die Hosen an.
Dass es nicht nur um Kleider ging, immer aber um seine Kreditkarte, merkte er einen Monat später, als die Rechnung ins Haus flatterte. Konto leer, Auto weg - und seine Diva auch. Nur ein Trost blieb ihm: »Wenn alle Stricke reißen, gibt's wenigstens noch das soziale Netz!« Dass man ihn nicht mit dem roten Teppich in »Hartz Mountains« empfangen würde, war ihm klar. Aber irgendwann würde er schon wieder in die Strümpfe kommen. Keine Frage dies alles war eine Episode - aber keinesfalls der letzte Vorhang in seinem Leben.
Und was will uns diese dumme kleine Geschichte (die keinesfalls als frauenfeindlich zu verstehen ist und nachweislich ebenso gut mit umgekehrten Geschlechterrollen funktioniert) erzählen? Nun einfach dies: dass Textilien unser Leben im Realen wie im Sprichwörtlichen unentwegt begleiten.
Um ebendies auch optisch in Szene zu setzen, hat der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie für sein Jahrbuch 2005 die Münchener Fotografin Carmen Janusch losgeschickt, die ganze Vielfältigkeit textilen Lebens auf Platte zu bannen. Verbands-Öffentlichkeitsarbeiter Andreas Schumacher: »Wir wollten zeigen, in welchen Bereichen sich Textil findet - und dass bei Weitem zu kurz greift, wer nur Bekleidung damit in Verbindung bringt.«
»Barby im Allgäu« nannte die Fotografin ihren Bilderzyklus - und brachte ihr Model dafür in etliche Situationen, die als durchaus unmöglich bezeichnet werden könnten. Oder haben Sie schon einmal eine Braut gesehen, die sich damit abmüht, einen »Porsche Diesel« (das ist ein Traktor) abzuschleppen?
Aber genau darum ging es wiederum den Auftraggebern. Denn Textilien, zumal solche aus oder mit Chemiefasern, verfügen heute über eine Anwendungsvielfalt, die mit den guten alten Naturfasern Wolle und Baumwolle, Leinen und Seide alleine niemals möglich gewesen wäre.
Stretch heißt beispielsweise das Zauberwort für Jeans, die auch nach der Weihnachtsgans noch ganz komfortabel passen, wo jene aus reinem Denim längst »Knopf auf« schreien. Funktionsunterwäsche sorgt dafür, dass Sportler trotz Höchstleistung nicht schweißnass werden und der Polarforscher sich selbst bei minus 40 Grad noch mollig warm fühlt. Und eine gewisse Funktion ist keineswegs auch dem abzusprechen, womit die modisch denkende Dame ihre Vorzüge betont. Textiles verkleinert, vergrößert, drückt weg oder hebt - ganz wie gewünscht.
Um die 160 000 Menschen verdienen in Deutschland mit Textil und Bekleidung (Herstellung, nicht Handel!) ihre Brötchen. Dass nur fünf Prozent der hierzulande verkauften Kleidung hier hergestellt werden (allein deutsche Firmen beschäftigen dafür in Billiglohnländern etwa eine Viertelmillion Mitarbeiter) macht deutlich: da muss es mehr geben als Hose, Jacke, Rock und Bluse.
Teppichböden und Rohrummantelungen, Autositze und Abschleppseile, Dämmstoffe am Bau und Heftpflaster, Polstermöbelbezüge, Filzpantoffeln und Pferdehalfter - alles Textil. Fäden werden hierzulande aus Natur- wie Chemiefaser gesponnen und zu Stoffen verwebt. Die wiederum werden veredelt und bedruckt. Und während die Masse der Mode aus China und der Türkei ins Land strömt, exportieren deutsche Unternehmen höchst erfolgreich technische Textilien in alle Welt. Andreas Schumacher: »Da sind wir Marktführer.«
Auch das, was Barby im Allgäu anziehen durfte, stammt übrigens zum größten Teil aus heimischen Ateliers. Denn wenn Kleidung wirklich etwas kosten darf, dann sind deutsche Schneider gefragt. Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 31.12.2005