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Merkel fordert von den USA:
»Geltendes Recht einhalten«

Irritationen um CIA-Gefangenenflüge nach Rice-Besuch nicht ausgeräumt

Berlin (dpa). Die Irritationen über CIA-Gefangenenflüge und mutmaßliche US-Geheimgefängnisse in Europa sind auch nach dem Besuch der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice gestern in Berlin nicht ausgeräumt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte die USA auf, im Anti-Terrorkampf geltendes Recht einzuhalten. Rice verteidigte die Arbeit der Geheimdienste im Kampf gegen Terroristen, die unschuldige Menschen ermordeten. Die irrtümliche Entführung eines Deutschen Anfang 2004 möglicherweise durch die CIA und etwaige Kenntnisse der alten Bundesregierung werden ein parlamentarisches Nachspiel haben.
Nach ihrem ersten Treffen mit Rice seit ihrer Amtsübernahme unterstrich Merkel gestern zwar die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens gegen diejenigen, »die Werte der Freiheit bedrohen«. Auf der anderen Seite müsse »die Wahl der Mittel« so gestaltet werden, »wie es den demokratischen Prinzipien in unseren Ländern entspricht«. Es gelte zwischen beidem eine »Balance« zu finden. Merkel wird im Januar in Washington zu ihrem Antrittsbesuch bei US-Präsident George W. Bush erwartet.
Rice erinnerte an die blutigen Terroranschläge in Madrid, Casa Blanca, Amman, London, New York und Washington. Im Kampf gegen den Terrorismus komme den Nachrichtendiensten eine Schlüsselrolle zu. Es gebe eine Verpflichtung, die Menschen davor zu schützen. Amerika halte sich dabei an geltendes US- und internationales Recht. »Vor allem aber: Wir dulden keine Folterung.« Der Koordinator für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Karsten Voigt (SPD), betonte: »Es bleibt die Frage, versteht sie (Rice) unter Folter das Gleiche wie wir.«
Merkel und Rice sprachen bei ihrem 50-minütigen Treffen auch über den Fall des offenbar vom US-Geheimdienst CIA Anfang 2004 irrtümlich wegen einer Namensverwechslung verschleppten deutschen Staatsbürgers Khaled El-Masri. Der Mann war Berichten zufolge fast ein halbes Jahr in amerikanischen Gewahrsam in Afghanistan. Die USA hätten dies als Fehler akzeptiert, sagte Merkel.
El-Masri reichte gestern in den USA Klage gegen »gegen verschiedene Personen des CIA« ein, darunter der ehemalige CIA-Chef George Tenet. Der Rechtsanwalt El-Masris, Manfred Gnjicic, sagte, er erwarte, dass endlich offiziell klar gestellt werde, dass sein Mandant entführt worden sei. Er fordere eine »wirksame Entschuldigung« für sechs Monate Martyrium.
Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) und der damalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sollen von den US-Behörden im Nachhinein informiert worden sein. Laut ARD sagte Steinmeier: »Ich habe im Juni 2004 durch ein Anwaltsschreiben, das damals bei uns im Kanzleramt eingegangen ist, von diesem Fall erfahren.« Merkel bat ihn, dem Parlamentarischen Kontrollgremium einen Bericht vorzulegen. Werner Hoyer (FDP) sagte, Steinmeier sei für die Geheimdienste zuständig gewesen. »Herr Steinmeier ist der einzige, der Licht in diese Affäre bringen kann.«
Nach Einschätzung der EU-Außenkommissarin, Benita Ferrero-Waldner, wird die Affäre um CIA-Flüge diese Woche auch bei den Sitzungen der Außenminister der EU und der NATO diskutiert werden. Dies sei ein »heißes Thema«, sagte sie im ZDF. Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel will das Thema beim Treffen mit US-Präsident George W. Bush heute in Washington zur Sprache bringen. Er werde dies »selbstverständlich ansprechen«, kündigte er in Wien an.
Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach (CDU) sieht weiter Klärungsbedarf. Es sei zwar »ausgesprochen positiv«, dass Rice versichert habe, »dass die Flüge nicht dem Zweck dienten, Gefangene zu transportieren, um sie außerhalb der USA menschenrechtswidrig verhören zu lassen«, sagte er. »Offen bleibt allerdings die Frage, aus welchen Gründen diese Flüge notwendig waren.« Die Bundestagsfraktion »Die Linke« regte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses an.

Artikel vom 07.12.2005