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Werner Schneyder

»Wenn sie in die Politik gehen, 'gehen' Politiker ein letztes Mal. Danach 'begeben' sie sich nur noch.«

Leitartikel
Ohrfeigen für die Älteren

Mißfelder, Dittrich, Oettinger


Von Rolf Dressler
So vergesslich können gestandene Mannsbilder doch gar nicht sein. Vielmehr müsste auch Baden-Württembergs CDU-Ministerpräsident Günter Oettinger noch gut im Ohr haben, zu welchen Ein- und Ausfällen man sich tunlichst nicht versteigen sollte.
Erst platzte Philipp Mißfelder, Chef der Jungen Union von CDU und CSU, mit der famosen Idee heraus, älteren Menschen sollten diverse Leistungen wie etwa Prothesen nicht mehr gewährt werden und schon gar nicht dürfe der Solidarfonds der Krankenkassen dafür noch länger herhalten. Kurz darauf stürmte Jan Dittrich, Chef-Vorlautsprecher der Jungen Liberalen in der FDP, an die Spitze des Medien- und Publikumsinteresses. Ihn allerdings kostete eine haarsträubende, offizielle Pressemitteilung der »JuLis« zu Recht den Vorstandsposten. Denn in Seelenverwandtschaft zu Mißfelder trug Dittrichs Pamphlet die fetzige Schlagzeile: »Alte, gebt den Löffel ab!«
Zwei bedauerliche Einzelfälle? Jugendliche Unbedachtheit noch bei Mitt- und Endzwanzigern? Wohl kaum. Denn nicht nur Jungpolitiker wie Mißfelder und Dittrich denken in ihrem Innersten offenbar genauso, wie sie da und dort reichlich nassforsch daherreden.
Wie zum Beweis gesellt sich als nächster im Bunde nun also auch Schwabenland-Regent Günter Oettinger hinzu. Ältere Arbeitnehmer, sagt er, sollten künftig von der Belastung her angemessener als bisher üblich ihren Dienst ver- sehen bis zum 67. Lebensjahr. Dafür müssten sie allerdings gebührende Abstriche hinnehmen bei Lohn, Gehalt und Urlaub.
Leidet der Mann Landtagswahlkampf-Nöte, dass er sich derartig vergaloppiert? Oder mischen sich bei ihm Realitätsverlust und blanke Unkenntnis? Oettingers pauschale Behauptung, wonach die Leistungsfähigkeit des Menschen vom 40. Lebensjahr an beständig abnehme, ist weder wissenschaftlich noch praktisch erwiesen, sondern in dieser Form schlicht Un- fug. Sie weckt allerdings unschöne Erinnerungen an die revoluzzerischen Wortführer der »68er«: Sie erklärten sogar schon die 30-jährigen zu »Grufties«. Wie mag Oettingers Dahergerede wohl auf die heute 30- bis 40-jährigen wirken - von den älteren Berufstätigen in anhaltend schwierigen Arbeitsmarktzeiten wie den unsrigen ganz abgesehen?
Folgte man aber Oettingers krass-krauser Sicht, müssten dann nicht auch alle Politikschaffenden der betreffenden Altersklassen ihre Minister- und Abgeordnetenbezüge nach unten anpassen als Tribut an das angeblich stetig schwindende eigene Leistungsvermögen? Günter Oettinger, man denke, steht bereits im 52. Lebensjahr ... !
PS. So mancher wohlbestallte Politiker gibt in vertrauter Runde übrigens schon mal augenzwinkernd zu verstehen, dass er nach Lage der Dinge und dank sonstiger Einnahmen seine Parlamentarier-Diäten »in der Regel praktisch gar nicht anfassen« müsse.
Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Oder auch nicht.

Artikel vom 07.12.2005