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Die kleine Lehre
vom Schenken

Erhobener Zeigefinger tut nicht gut

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). »Man merkt die Absicht und ist verstimmt«, schrieb Wilhelm Busch treffend. Ob er dabei an die vielen pädagogischen Geschenke zu Weihnachten gedacht hat? Ein Diät-Buch für die vermeintlich mollig gewordene Ehefrau sorgt bei ihr genauso für ein langes Gesicht wie die Packung mit Nikotin-Pflastern beim rauchenden Gatten.

»Wir sind alle Oberlehrer, und deshalb ist pädagogisches Schenken weit verbreitet«, beklagt Martin Beutelspacher. Für die Ausstellung »Morgen, Kinder, wird's was geben!« hat der Leiter des Mindener Museums Geschichte und Psychologie des Schenkens untersucht. Gaben, die mit erhobenem Zeigefinger daher kommen und jemanden verpflichten sollen, etwas zu tun, sorgten garantiert für Frust, warnt er. Diese Erkenntnis gilt für Kinder und Erwachsene.
»Kindern sollte man keine Lexika schenken«, rät der Kölner Diplom-Psychologe Alexander Elwert. Er gehört der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG) an, dem mit 4000 Mitgliedern größten europäischen Fachverband für Psychotherapie und Beratung. Geschenke übermittelten eine Botschaft, sagte Elwert dieser Zeitung. Wer seinem Nachwuchs ein Lexikon unter den Weihnachtsbaum lege, denke mehr an die schulischen Leistungen als an die Wünsche des Kindes.
Durch Geschenke würden Rollenzuweisungen transportiert. Zum Beispiel dann, wenn der Mann seiner Frau ein Kochtopfset oder sie ihm eine Bohrmaschine kauft - nach dem Motto: »Im Haus müsste mal wieder einiges repariert werden«. Menschen wollten als Person wahrgenommen werden, nicht in einer bestimmten Funktion, ist Elwert überzeugt. Sie erwarteten, dass sich der Schenkende ausgiebig Gedanken darüber gemacht hat, was der andere sich wohl wünschen mag.
»Deshalb sind bei Ehepartnern die Last-Minute-Geschenke so gefährlich«, betont Museumsleiter Beutelspacher und erklärt: »Sie gelten als gedankenlos.« Zu den auf den letzten Drücker besorgten Dingen zählen Parfüms, DVDs und CDs. Beim Duft liegen Freude und Frust nah beieinander. »Du könntest mir ruhig mal ein Parfüm schenken«, habe ihm seine Frau gesagt, erzählt Beutelspacher, während eine Bekannte entgegnete: »Wenn mein Mann mit einem Parfüm kommt, haue ich es ihm um die Ohren.« Wer schenkt, betritt das Minenfeld der Risiken. Einige Männer würden die Socken am liebsten aus dem Fenster werfen, andere halten Krawatten nicht für ideenlos und freuen sich.
Socken und Krawatten trägt man am Körper, und genau da wird es heikel. »Je näher die Geschenke am Körper getragen werden, desto enger ist die Beziehung«, macht Diplom-Psychologe Elwert (38) deutlich. Um nicht unpassend zu schenken, müsse das Verhältnis zu der Person, die etwas bekommen soll, genau geklärt werden. Heißt im Klartext: Halskette für die Ehefrau, nicht für die Nachbarin, mit der man sich im Sommer während der Gartenarbeit nett unterhält.
Was tun, wenn einem ein Geschenk partout nicht gefällt? Zurückweisen ist unmöglich, mahnt Beutelspacher: »Das kommt dem sozialen Tod gleich.« Der Zurückgewiesene werde fürchterlich beleidigt sein und sich zurückziehen. Und was ist besser: ein großes Geschenk oder mehrere kleine Gaben? »Ich erinnere mich noch gut an die großen Geschenke aus meiner Kindheit«, antwortet der Wissenschaftler.
Manchmal hat das, was unterm Baum liegt, buchstäblich keinen Sinn, und den soll es auch gar nicht haben. Es gibt Menschen, die sich mit Nonsens bescheren: mit Weihnachtsmann-Stoffbezug für den Klo-Deckel oder mit Kaffeemaschinen, für die es längst keine Filter mehr gibt. Das ist dann die Perversion des Ursprungs vom Schenken. Bevor Weihnachten im 19. Jahrhundert zum Fest der Kinder wurde, erhielten Dienstboten Schuhe, Mützen, Jacken oder Schürzen. Nützliches, keinen Unfug.

Artikel vom 21.12.2005