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»Lupenreine Demokraten wie
Putin oder islamische Depoten genießen eine mildere Behandlung.«

Leitartikel
CIA-Affäre

Grauzonen des
Rechts


Von Jürgen Liminski
Da sind wieder jede Menge Gutmenschen am Werk. Natürlich muss die Affäre um den Deutsch-Libanesen El Masri aufgeklärt werden. Natürlich muss auch klar sein, ob und, wenn ja, wo und wie der US-Geheimdienst in Europa, vielleicht auch in Deutschland tätig war. Dass er generell inkognito handelt, dürfte eigentlich niemanden verwundern, das entspricht dem Wesen eines Geheimdienstes. Der springende Punkt der CIA-Affäre: Deutsche und Amerikaner haben ein unterschiedliches Rechtsverständnis.
Niemand bestreitet den prinzipiellen Primat des Rechts, auch US-Außenministerin Condoleezza Rice nicht. Die Angelsachsen aber sehen im Recht ein Instrument zum Schutz und zur Wahrung der Freiheit, die Deutschen sehen im Recht die Grundlage für die Ordnung der Gesellschaft.
Die Amerikaner haben ein dynamischeres Rechtsverständnis als die Europäer. Damit kein Jurist das missversteht: Es geht nicht um Rechtfertigung von Rechtsverstößen. Aber wenn die Politik diese verschiedenen Aspekte nicht aufklärt (das wäre etwa eine Aufgabe für Stiftungen und deren Tagungen) und die Grenzen deutlicher markiert, dann werden sich die Medien in Europa noch so lange zerreißen, wie der Krieg gegen den Terrorismus anhält.
Man wird einiges in der nebulösen Grauzone der Geheimdienste belassen können, aber was ans Licht kommt, muss juristisch geklärt werden. Genau das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auch angekündigt. El Masris Klage gegen den CIA ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Als der US-Präsident die Präventivstrategie im Anti-Terror-Kampf verkündete, reagierte die öffentliche Meinung in den USA gelassen, in Europa verfiel sie in Hysterie. Auch jetzt versteigt sich Amnesty International zu der These, lieber das Risiko eines Terroranschlags eingehen als das Recht zu beugen. Aber noch ist nirgendwo belegt, dass die CIA ein Netz von »Folterkerkern« in Europa angelegt hat.
Wer noch zweifelt, wird schnell als CIA-Knecht oder naiver Amerika-Fan verachtet. Das sieht bei Putin oder gar im Fall islamischer Despoten ganz anders aus. Dort liegt der Akzent auf Milde gegenüber unterschiedlichen Kulturen. Gerade bei den Grundrechten muss ständig abgewogen werden, welches Rechtsgut höher zu veranschlagen ist. Die Europäer können aber leider nicht von sich behaupten, dass ihre Abwägungen immer dem Schutz des Rechts dienen.
Allein das Recht auf Leben, das ja zweifellos höher steht als das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wird in fast allen EU-Staaten, einschließlich Deutschlands, mit Füßen getreten, siehe die Gesetze zur Abtreibung. In Amerika ist immerhin eine Gegenbewegung zu beobachten, auch weil das Recht nicht so statisch und definitiv wahrgenommen wird wie in Europa. Darauf hinzuweisen gilt als abwegig. Aber dem von der politischen Korrektheit noch nicht blindgeschlagenen Bürger erscheint hier die Frage des Rechts in einem anderen Licht.

Artikel vom 08.12.2005