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Klinik zahlt
nach Freitod
eines Lehrers

Vergleich vor dem Oberlandesgericht

Von Christian Althoff
Spenge (WB). 40 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlt die Westfälische Klinik für Psychiatrie in Güterloh der Witwe eines Lehrers aus Spenge (Kreis Herford). Eine Ärztin hatte den Mann abgewiesen, der sich daraufhin das Leben genommen hatte.

Jede Nacht läuft der Fernseher im Schlafzimmer von Sylvia B. (52). »Seit Uwes Tod ertrage ich die Stille im Haus nicht mehr«, sagt sie. Beinahe drei Jahre ist es her, dass die Frau ihren Mann im Keller gefunden hatte - erhängt.
Uwe B. war Grundschullehrer in Bad Salzuflen. »Er hing an seinen Schülern. Wenn er sich einmal nicht auf den Unterricht vorbereitet hatte, quälte ihn sein Gewissen. Er sagte immer: Ich bin es den Kindern und den Steuerzahlern schuldig, mein Bestes zu geben«, erinnert sich die Witwe.
Trotzdem hielt sich Uwe B. für einen schlechten Lehrer. Er wurde von Selbstzweifeln geplagt und litt unter schweren Versagensängsten. »Im Herbst 2002 verbrachte mein Mann bereits drei Wochen in der Klinik in Gütersloh«, erzählt die Witwe. Doch die leichte Verbesserung seiner Depressionen war nur vorübergehend: »Zuletzt hatte er Selbstmordgedanken.« Der Neurologe aus Enger, bei dem Uwe B. in Behandlung war, rief am 3. Januar 2003 in Gütersloh an und vereinbarte die stationäre Aufnahme des Lehrers auf der Depressionsstation. Da dort kein Bett frei war, sollte Uwe B. erst am 7. Januar anreisen. So lange hielt er es jedoch nicht aus: Aus Angst, er werde sich das Leben nehmen, fuhr der Lehrer schon am 4. Januar nach Gütersloh, wo er abgewiesen wurde. Am 5. Januar versuchte er in Begleitung seiner Frau erneut, aufgenommen zu werden - vergeblich. Sylvia B.: »Die Ärztin hat die Einweisung und den Arztbrief des Neurologen überhaupt nicht gelesen. Sie hat uns mit den Worten fortgeschickt, sie habe kein freies Bett.«
Verzweifelt versuchte der Lehrer am 6. Januar mehrfach telefonisch, doch noch einen früheren Aufnahmetermin zu bekommen - ohne Erfolg. Ihm wurde geraten, sich zur Ablenkung mit etwas zu beschäftigen, das ihm Spaß mache. Am nächsten Morgen schied Uwe B. aus dem Leben.
Sylvia B., die vier Töchter aus erster Ehe hat, verklagte die Klinik: »Nachdem die Ärztin Uwe nicht ernstgenommen hatte, war ich es ihm schuldig, das durchzufechten.« Im Februar hatte die Witwe aus Spenge in erster Instanz vor dem Landgericht Bielefeld gewonnen. Die Zivilkammer hatte eine Sorgfaltspflichtsverletzung der Klinik festgestellt und ausgeführt, mit dem lapidaren Hinweis, man habe kein freies Bett, hätte der schwer kranke Mann nicht abgewiesen werden dürfen. Die Richter hatten den Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Träger der Klinik verurteilt, alle Kosten zu tragen, die mit dem Ausfall des Hauptverdieners in Verbindung stehen.
Dieser Auffassung wollte sich das OLG gestern nicht anschließen. Ein Gutachter hatte zwar ausgesagt, dass das Verhalten der Ärztin inakzeptabel und fehlerhaft gewesen sei - als grob fehlerhaft wollte er ihre Tätigkeit jedoch nicht einordnen.
»Damit muss die Witwe beweisen, dass ihr Mann sich bei Aufnahme in die Klinik nicht das Leben genommen hätte - ein Nachweis, den sie nicht erbringen kann«, sagte Patientenanwältin Elke Böddeker aus Bielefeld. Notgedrungen stimmte Sylvia B. dem Vergleichsvorschlag des Gerichtes zu.

Artikel vom 06.12.2005