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Khaled E-Masri wurde am 31. Dezember 2003 verschleppt und im Mai 2004 freigelassen.

Rice vollzieht eine Kehrtwende

Druck wächst: Steinmeier war über den Fall El-Masri informiert

Berlin (Reuters).In der Affäre um die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri gerät Außenminister Frank-Walter Steinmeier massiv unter Druck. Nach Steinmeiers Eingeständnis, seit Juni 2004 von dem Fall zu wissen, drohte die Opposition gestern in Berlin mit einem Untersuchungsausschuss.

Nach heftiger Kritik an der amerikanischen Behandlung ausländischer Gefangener hat US-Außenministerin Condoleezza Rice gestern in Kiew offenbar eine Kehrtwende gemacht. Amerikanische Verhörbeamte unterlägen sowohl in den USA als auch im Ausland den Bestimmungen der UN-Konvention gegen Folter, die Grausamkeiten und Erniedrigungen verbietet, sagte Rice. »Ihre Stellungnahme sieht nach einer bedeutenden Richtungsänderung aus«, schrieb die »Washington Post«.
Die US-Regierung hatte bislang argumentiert, die Bestimmungen gälten nicht, wenn Verhöre nicht auf US-Boden stattfinden. Ermittler des Geheimdienstes CIA durften im Ausland Methoden anwenden, die unter der Anti-Folter-Konvention verboten sind.
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nannte den gesamten Vorgang »unglaublich«. Sollte die Bundesregierung ihrer Aufklärungspflicht nicht nachkommen, werde selbstverständlich ein Untersuchungsausschuss gefordert. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) versprach, dem Wunsch der Opposition nachzukommen. Allerdings könne die Regierung nicht alle Informationen in der Sache veröffentlichen, da es um Landesinteressen gehe, unterstrich er.
Nach einem Bericht der »Berliner Zeitung« weiß das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) des Bundestages seit mehr als einem Jahr von den Vorwürfen gegen die CIA, sie habe El-Masri nach Afghanistan verschleppt. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte: »Von Joschka Fischer ist derzeit nichts bekannt, was man ihm vorwerfen könnte.« Fischer war 2004 Bundesaußenminister. Der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) bestritt, vom Fall El-Masri in seiner Regierungszeit gewusst zu haben. Er habe keine Informationen bekommen, »die mich in die Lage versetzt hätten, dafür zu sorgen, dass einem deutschen Staatsbürger kein Leid geschieht - zu einem Zeitpunkt, wo ich hätte eingreifen können«, sagte er. Auf Sitzungen der EU-Innenminister seien CIA-Flüge und -Gefängnisse nie Thema gewesen.
Am Dienstag hatte Merkel betont, Steinmeier werde das Kontrollgremium als früheres Mitglied der rot-grünen Regierung informieren. In Regierungskreisen hieß es, in der gestrigen Sitzung des Kabinetts habe Merkel deutlich gemacht, dass sie die Angelegenheit als Sache der gesamten Regierung betrachte. Steinmeier war vor der Wahl Kanzleramtschef.
Der 42-jährige El-Masri hat in den USA Klage eingereicht gegen den ehemaligen CIA-Direktor George Tenet. In der ZDF-Sendung »Frontal« beschrieb El-Masri, wie er behandelt wurde: »Im Flughafen Skopje (Mazedonien) wurde ich zusammengeschlagen, gedemütigt. Auch im Flugzeug habe ich Betäubungsspritzen bekommen. In Afghanistan haben die mich zu Boden geworfen, ich habe Fußtritte bekommen in der Zelle. Und die Haftbedingungen waren sehr schlimm.«

Artikel vom 08.12.2005