06.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Kleine Episoden -
große Wirkung

Lesung mit Wladimir Kaminer

Von Thomas Bertz
Bielefeld (WB). Lesungen an sich sind ja immer etwas komisch: Vorne sitzt der Autor und liest aus einem Buch vor, das im Normalfall die meisten Zuhörer ohnehin schon gelesen haben. Das wird sich auch Wladimir Kaminer gedacht haben und deshalb brach der russische Autor mit deutscher Staatsbürgerschaft aus dem Schema aus.

Denn neben Passagen aus seinem Werk »Kaminer Karaoke« las er auch bislang unveröffentlichte Texte im vollbesetzten Ringlokschuppen vor.
Kaminer setzt nicht auf die eingefahrenen Strukturen. Das spürt man in seinen Texten und auch an diesem Abend in Bielefeld. Der Autor, der mittlerweile auch regelmäßig im ZDF zu sehen ist, gibt sich locker. Auf Wunsch des Publikums verschanzt er sich nicht hinter dem Tisch, sondern nimmt auf selbigem Platz und präsentiert von dort in Jeans und T-Shirt seine Texte. Mit scheinbar naiven Augen blickt da der Einwanderer auf seine neue Heimat Deutschland. Ob die Kinderwagen in Kaminers Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, der Einkauf von Lamm in Kreuzberg oder der Urlaub auf Mallorca - für Kaminer ist (fast) jede Situation ein Thema, das er leicht überzeichnet, um dem Leser so den Spiegel vorzuhalten. Mit den kleinen Episoden aus dem Alltag hat sich Kaminer eine große Fanschar erschrieben. Die humorvollen Texte gewinnen durch seinen Vortrag aber noch. Der starke russische Einschlag im Sprachduktus Kaminers sorgt für Hörvergnügen.
Überhaupt kommt Kaminer sehr sympathisch herüber. Er ist dem Publikum gegenüber offen, will auf die Wünsche des Auditoriums eingehen und auf Fragen antworten. Indes, die Ostwestfalen haben kaum Fragen, sie wollen Kaminers Texte. Welche, das ist letztlich egal und so hat der Autor die freie Wahl (»Ich lese am Liebsten aus der Mitte.«). Er präsentiert Bekanntes aus Karaoke, gibt aber auch Einblicke in neue Projekte wie »Mein Berlin« und das Kochbuch »Küche totalitär«. Auch diese Werke werden ihre Abnehmer finden. Sicherlich.
Wie groß die Fanschar des Autors ist, das zeigt sich auch bei der anschließenden Autogrammstunde. Eine lange Schlange bildete sich da um den »Star«. Nach getaner Arbeit verließ Wladimir Kaminer den »Schuppen« übrigens noch nicht. Er inspizierte in Ruhe die Diskothek und verweilte an der Bar.

Artikel vom 06.12.2005