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Eine Herausforderung für die Zuhörer

Ausnahme-Cellist Stefan Heinemeyer gastiert bei »Kultur kompakt«

Sennestadt (WB). »Kultur kompakt« - unter diesem Begriff kooperieren seit einiger Zeit der Kunstverein Oerlinghausen und der Kulturkreis im Sennestadtverein - eine Liaison, die noch im Anfangsstadium steckt, aber schon beachtlichen Erfolg hat. In diesem Rahmen gastierte jetzt der Berliner Ausnahme-Cellist Stefan Heinemeyer im Vortragssaal des Sennestadthauses.
Dort begrüßte Ulrich Klemens die Zuhörer und seinen Oerlinghauser Mitstreiter Dieter Burkamp. Allzu groß war die Besucherzahl nicht. Vielleicht lag es am etwas »unbequemen« Programm, in dem die Namen zeitgenössischer Komponisten auftauchten. Doch das war Absicht.
Klemens und Burkamp sind sich einig, dass man moderne Kunst nicht aussparen soll beim Angebot, weder in der Bildenden Kunst noch im musikalischen Bereich. Man müsse auch für eine Minderheit präsent sein.
Das Programm am Sonntag war eine Herausforderung für die Zuhörer. Diese nahmen sie nach anfänglicher Skepsis an. Ein wenig lag es auch an der Persönlichkeit des Interpreten. Wer aber hätte schon diesem jungen sympathischen Cellisten widerstehen können?
25 Jahre jung ist Stefan Heinemeyer, vielfach mit Preisen ausgezeichnet, ein Vollblutmusiker, dessen technische Fertigkeiten verblüffen und manchmal sogar den Atem anhalten lassen.
In seinem charmant moderierten Programm spannte er den Bogen zwischen alter und neuer Musik. Einen breiten Raum räumte er zwei Solosuiten von Bach, der in G-Dur BWV 1007 und d-moll BWV 1008, ein. Diesen Standardwerken, so etwas wie das »Alte Testament für das Cello« (Joachim Kaiser), gewann er mit seiner Interpretation, mit sehr eigenwilligen Tempoauffassungen und Gestaltungsfreiraum, völlig neue Seiten ab.
Da wurde die Courante der d-moll-Suite zum Parforceritt, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber man akzeptierte es staunend, weil mit so viel überbordender Musikalität, Hingabe, fast Besessenheit, tonlicher Intensität, sauberster Intonation und technischer Brillanz - auch in den mehrstimmigen Passagen - musiziert wurde.
Domenico Gabrielli war der andere Altmeister. Er war der erste Cellovirtuose und seine Ricercari für das Soloinstrument waren 1689 eine Sensation. Stefan Heinemeyer, der auch als Interpret zeitgenössischer Musik ausgezeichnet wurde, spannte mit zwei Werken der bedeutendsten polnischen Komponisten der Gegenwart, Witold Lutoslawski und Krysztof Penderecki, einen kühnen Bogen vom Barock zum 20. Jahrhundert.
Von Ersterem stellte er die Sacher-Variationen vor. Er hatte sie dem Schweizer Dirigenten Paul Sacher zum 70. Geburtstag gewidmet, (so wie elf weitere Komponistenkollegen es im Auftrag von Rostropowitsch taten). In einem besonderen rhythmischen Prozess kristallisiert sich eine Sechs-Ton-Reihe aus den Buchstaben des Namens heraus.
Die Variationen sind kurz und kontrastreich. Sie werden an klanglichen Raffinessen noch überboten von Penderckis Capricco für Siegfried Palm, das nicht komplett notiert ist. Im Sinne der Aleatorik hängt die Umsetzung vom Zufall ab. Genüsslich zurücklehnen war nicht. Dafür durften die Zuhörer staunen, was einem Cello alles zuzumuten ist. Und sie durften die intensive spieltechnische Akrobatik eines jungen Interpreten bewundern.
Es war ein Kraftakt, den Heinemeyer mit Bravour bewältigte. Für den verdient anerkennenden anhaltenden Beifall gab es eine wohltuende Zugabe: Ein elegisches, katalanisches Volkslied, das auch Pablo Casals gern spielte. Dabei kam das wunderbare altitalienische Instrument von Testore - eine Leihgabe des Deutschen Musikrates - eindrucksvoll zur Geltung. Jutta Albers

Artikel vom 07.12.2005