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Mäuse und Vollbeschäftigung

Ein starkes Stück: Fritz Katers »3 von 5 Millionen« im TAMzwei bejubelt


Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Die Konjunktur verläuft in Zyklen, und weil alles schon da war, kehrt auch die Massenarbeitslosigkeit immer mal wieder. Nur während der Chancenlose von 1929ff. in die Wohlfahrt wegdämmerte, machen die Perspektivlosen heute Ba-Ba-Ba-Banküberfall. »3 von 5 Millionen«, ein Stück von Fritz Kater nach Leonhard Franks Roman (1932), wurde bei der Freitagspremiere im TAMzwei bejubelt.
Die begeisterte Reaktion auf Alexander Hawemanns expressive Inszenierung mag der Brisanz des Themas geschuldet gewesen sein - vor allem aber war sie eine Verbeugung vor den Klasseschauspielern, die das gesamte Spektrum von der hintersinnigen Moritat bis zum atemlos-aggressiven Roadmovie durchmaßen. »Alle Landschaften haben«, steht, ein wenig kryptisch, an der Wand, und dahinter hängen 22 Plastiktüten eines Discounters - Ware ist genügend da, mag die Botschaft der von Lina Antje Gühne gestalteten Arena lauten, nur leider kommen nicht mehr alle an sie heran.
Zunächst bleckt Max Grashof die Zähne und erzählt uns anhand dreier Puppen von Bankenkrach und kreativ verwalteter Hoffnungslosigkeit. Dieser Puppenspieler (»Einer«) leidet mit seinem Trio und schlurft zuletzt mit ihm zu A-cappella-Gezwitscher (»Ein Freund, ein guter Freund . . .«) ab ins Dunkel. Eine dank Grashofs eindringlichem Spiel beklemmende erste Hälfte. Hier weht noch der gute alte kathartische Hauch.
Dann ist »Sex Pistols«-Time. Punk und ey, Alder, wir ham's der Welt gezeigt. Ulkig. Die Welt aber ist nur dem ein Comic, der sie durch die Whiskyflasche betrachtet. Das tun der abgehalfterte Schauspieler Sebi (Mathias Reiter), der minderbegabte Drehbuchautor Martin (Andreas Hilscher) und der zynische Stasi-Häftling Dirk (John Wesley Zielmann) ausgiebig. Hut ab vor ihrer schweißtreibenden Leistung!
Und wo wir Deutschen stets schreiten Seit' an Seit', ob nach Stalingrad oder Canossa, da leide der eine an des anderen Schuld. Hier toben drei von 80 Millionen über die Bühne, doch Germaniens Nornen, vielleicht war's aber auch bloß das Großkapital, haben ihre Schicksale ineinander verwoben, und am Ende rudern die Jungkriminellen übern See, übern See, die Polizei hinterdrein. Irgendwie, man ahnt es dumpf, geht's, weil kein Ruck durch Deutschland geht, stracks übern Styx in den Hades. Nur Charon sitzt nicht mehr mit im Boot, er hat sich vom Fährgeld eine Produktionshalle in Hongkong gebaut und eine Datsche in St. Moritz.
»Die alten Mächte sind besiegt, aber nicht tot, und in der Dämmerstunde steigen sie herauf und denken, ihre Zeit sei wieder da«, sinnierte Fontane einst am Müggelsee, an dessen Gestaden unser Trio scheitert. Ach, der Gute!
Doch die Träume sind geblieben; so wie sie bei Fontane um Prinzessinnen in von Mäusen gezogenen Kutschen kreisten, drehen sie sich heute um die Vollbeschäftigung.
Ein schönes Stück. Ein starkes Stück. Weitere Vorstellungen am 9./10. und 30. Dezember, am 7. und 21. Januar sowie am 17. und 19. Februar.

Artikel vom 05.12.2005