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»Wir werden dicke Bretter bohren«

Privatfirma zieht für den Staat Steuern ein -ÊHeute im Gespräch: Arvato-Manager Rolf Buch

Gütersloh (WB). Ihre Pässe erhalten Einwohner von East Riding seit wenigen Wochen von Arvato. Bernhard Hertlein sprach darüber mit Rolf Buch.
Rolf Buch: seit drei Jahren Vorstand des Bertelsmann-Bereiches Arvato.
In East Riding, einer Region mit 380 000 Einwohnern in England, nimmt Arvato seit 1. Oktober öffentliche Aufgaben im Auftrag der Bezirksverwaltung wahr. Um welche Arbeiten geht es genau?Buch: Wir sind in fünf Bereichen tätig. Drei bewegen sich im Rahmen dessen, was beim Outsourcing traditionell üblich ist. Dazu zählt die Betreuung des Personals - nicht nur der Leute, die bei uns beschäftigt sind, sondern aller Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung einschließlich beispielsweise der Lehrer. Insgesamt sind es 17 000, die wir medizinisch durch Betriebsärzte betreuen, für die wir die Gehaltsabrechnungen erstellen und vieles mehr.
Auch die Betreuung der IT-Infrastruktur mit allen Arbeitscomputern etcetera sowie der distrikteigenen Druckerei berührt noch keine früher hoheitlichen Aufgaben. Spannend ist die Übernahme von Finanzaufgaben durch die Arvato. Die beiden kommunalen Steuern - eine Art Gewerbe- und eine Wohnraum-Steuer - werden künftig ebenso von uns berechnet und eingezogen wie etwa die Gebühren für die Müllabfuhr oder die Strafmandate für Parksünder.

Fürchten Sie da nicht, dass Sie sich bei den Einwohnern der Grafschaft East Riding unbeliebt machen?Buch: Nein! Wir erledigen ja sämtliche Aufgaben nur stellvertretend für unsere Auftraggeber. Außerdem sind wir auch gleichzeitig für die Auszahlungen zuständig, etwa das Wohngeld für sozial benachteiligte Familien. Und wir bezahlen die Rechnungen, die vom Kämmerer an uns durchgereicht werden.

Sie erwähnten noch einen fünften Aufgabenbereich. . .Buch: Genau, den Bereich Customer Service, das heißt die Arbeit in den 14 Bürgerbüros, die East Riding als größter Flächen-Landkreis Englands eingerichtet hat und das Management der bereits existierenden Call Center. Die Bürgerbüros sind der »First Point of Contact« für alle Bürgeranliegen wie beispielsweise Bauanträge, Informationen zu Services oder die Bezahlung von Gebühren oder Steuern.

    In England ist das möglich?Buch: Es ist möglich und funktioniert dort bereits seit einigen Jahren.

Sie haben die                         500 Angestellten, die bisher in East Riding in den entsprechenden Ressorts gearbeitet haben, übernommen und sogar zusätzliche Arbeitsplätze in der Region versprochen. Wie rechnet sich das für Arvato?Buch: Wir wollen das Geschäftsfeld ausbauen und die Mitarbeiter besser auslasten. Wir werden unser Know-how aus vielen anderen Projekten und Branchen nutzen, um Abläufe zu optimieren und beispielsweise das Call Center mit zusätzlichen Aufgaben betrauen. Zudem werden wir dafür sorgen, dass die teuren Geräte, beispielsweise Druckanlagen, die sich so eine Gemeinde oder ein Landkreis anschafft und dann nur zeitweise nutzt, besser ausgelastet werden.

Und was hat East Riding von dem Projekt?Buch: Zunächst profitiert der Landkreis natürlich von der Kostenersparnis, die wir erwirtschaften. Gleichzeitig wird sich die Qualität der kommunalen Dienstleistungen für den Bürger verbessern.

    Wie soll das gehen?Buch: Indem wir die Mitarbeiter ganz anders motivieren als dies ein staatlicher Betrieb kann. Bessere Ergebnisse versprechen wir uns vor allem durch das bei Bertelsmann übliche partnerschaftliche Führungsmodell. Die Belegschaft wird die für sie ganz neue Erfahrung machen, dass gute Ideen honoriert werden, denn wir können natürlich auch die Entlohnung unserer Mitarbeiter an Leistungsvorgaben binden.
In dem Vertrag mit East Riding wurden zudem klare Vorgaben festgelegt. Werden sie übertroffen, gibt es möglicherweise zusätzliches Geld für Arvato. Wenn wir sie deutlich unterschreiten, werden Strafzahlungen fällig.

Das heißt, wenn Sie die Steuern nicht pünktlich eintreiben, geht das zu Lasten von Arvato?Buch: Genau so ist es. Wir sind daneben beispielsweise verpflichtet, das Telefon in mehr als 85 Prozent der Fälle vor dem siebten Klingelton abzunehmen. Testen Sie das einmal hierzulande bei einer öffentlichen Verwaltung! Arvato wird sich darüber hinaus auch an der Zufriedenheit der Bürger messen lassen, die in Umfragen ermittelt wird.

Planen Sie ähnliche Projekte auch in anderen Ländern?Buch: Dazu ist es noch zu früh. Wir sind derzeit dabei, herauszufinden, ob eine solche Aufgabenübertragung nicht auch in unserem Heimatland möglich ist.

 Halten Sie das für vorstellbar?Buch: Warum nicht? Was sich in England bewährt, könnte auch in Deutschland manches Problem mit den kommunalen Finanzen lösen. Ich kenne viele Beispiele, wo eine vorhandene Infrastrukur nicht optimal genutzt wird. Die Qualität der Verwaltung würde verbessert.
Bisher haben wir noch nichts gefunden, was in Deutschland ähnlichen Projekten wie in East Riding entgegenstehen könnte. Trotzdem rechne ich damit, dass wir dicke Bretter bohren müssen. Wir bleiben am Ball.
Seite 4: Kommentar

Artikel vom 03.12.2005