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Reha im Wohnzimmer, Visite am Telefon

Johannes Niemann nahm nach einer Bypass-Operation die Nachsorge selbst in die Hand

Von Christian Althoff
Spenge (WB). »Man verdrängt die Symptome und will sie nicht wahr haben«, sagt Johannes Niemann (69). Erst musste er beim Rasenmähen Pausen einlegen, dann kam er beim Treppensteigen aus der Puste. »Zum Glück bin ich doch zum Arzt gegangen. Sonst säße ich heute vielleicht nicht mehr hier«, sagt der Polsterermeister aus Spenge (Kreis Herford).
Johannes Niemann zeigt ein Bild der Katheteruntersuchung: Drei Adern waren fast verschlossen.

Johannes Niemann ist einer von etwa 72 000 Menschen, die jedes Jahr in Deutschland mit einem Bypass gerettet werden - obwohl der Handwerker niemals geglaubt hatte, zu einer Risikogruppe zu gehören: »Ich habe nie geraucht und hatte auch kein Übergewicht - immerhin habe ich jahrelang im TuS Spenge geturnt«, erzählt der 69-Jährige, der früher beim Polstermöbelhersteller Frommholz gearbeitet hatte. Doch seiner Frau Edith (79) hatte schon immer Böses geschwant: »Mein Mann liebte Fleisch und dicke Soßen. Er aß für sein Leben gern und viel.«
Eine Katheteruntersuchung ergab, dass Ablagerungen drei Herzkranzgefäße bereits zu mehr als 90 Prozent verschlossen hatten: »Der Infarkt war nicht mehr weit«, erinnert sich der Rentner. Am 20. April wurden ihm im NRW-Herzzentrum Bad Oeynhausen drei Bypässe eingesetzt, elf Tage später war Johannes Niemann schon wieder zu Hause. »Man hatte mir im Herzzentrum mehrere Rehakliniken vorgeschlagen, aber als ich hörte, dass man die Nachsorge mit ärztlicher Unterstützung auch selbst durchführen kann, stand meine Entscheidung fest.«
Zu Hause wartete bereits ein Trimm-Fahrrad, das ein Mitarbeiter der AOK vorbeigebracht hatte. »Ich hatte im Herzzentrum einen exakten Trainingsplan bekommen«, erzählt der Handwerksmeister. Am ersten Tag musste er 15 Minuten lang mit einem Maximalpuls von 116 eine Leistung von 35 Watt erbringen, zwölf Wochen später sah der Plan 40 Minuten Training mit einem Puls von 108 bei einer Leistung von 75 Watt vor. »Die jeweiligen Werte ließen sich am Fahrradcomputer ablesen, das war kein Problem«, erzählt der 69-Jährige.
Fünf Mal pro Woche befestigte Johannes Niemann für ein paar Minuten Elektroden auf seinem Oberkörper. Ein kartenspielgroßes Leihgerät zeichnete dann das EKG auf, dessen Daten per Telefon automatisch nach Oeynhausen übertragen wurden. »Dort saß eine Ärztin, die die Werte sofort mit mir besprach. Überhaupt fühlte ich mich sehr sicher, weil ich in den zwölf Wochen nach der Operation 24 Stunden am Tag einen Arzt erreichen konnte, der meinen Fall kannte - auch an den Wochenenden.« Nach drei, sechs und neun Wochen standen zudem Besuche beim Hausarzt in Spenge und beim Kardiologen in Herford auf dem Reha-Programm. Dort wurden Blutuntersuchungen vorgenommen und aufwendigere EKGs erstellt.
Auch Edith Niemann unternahm alles, um ihren Mann wieder fit zu bekommen: »Ich habe mich an die Ernährungsvorschläge des Herzzentrums gehalten, und danach koche ich auch heute noch«, sagt sie. Viel Gemüse, Vollkornprodukte, Nudeln und Kartoffeln, viel Fisch, weniger Fleisch: »Mir schmeckt es. Vor allem Salate habe ich ganz neu für mich entdeckt«, sagt der Rentner.
Heute läuft Johannes Niemeier wieder leichtfüßig jede Treppe hinauf. »Ich würde jederzeit wieder eine Reha zu Hause machen, aber das geht natürlich nur, wenn man nicht alleine ist und einen Partner hat, der sich währenddessen um die Hausarbeit kümmert«, erklärt er.
Seinen heutigen Gesundheitszustand habe er sich selbst erarbeitet, sagt der vitale Rentner und sieht darin das Erfolgsrezept der häuslichen Kur: »Was man sich erkämpft hat, will man nicht wieder hergeben.« Deshalb hat Johannes Niemann wie viele andere Reha-Patienten das Kettler-Trimmrad von der AOK zu einem Vorzugspreis gekauft und sitzt jetzt jeden Morgen 40 Minuten im Sattel: »Einmal am Tag muss ich richtig schwitzen - dann fühle ich mit fit!«

Artikel vom 03.12.2005