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Natürliche »Venus«
mit breiten Hüften

Skulpturen von Aristide Maillol in Schloß Neuhaus

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Die Städtische Galerie in der Reithalle Schloß Neuhaus bei Paderborn präsentiert zum ersten Mal in NRW eine prächtige Einzelausstellung des französischen Bildhauers Aristide Maillol (1861-1944).

Mit 25 Plastiken und 36 Zeichnungen und Grafiken des Meisters aus dem südfranzösischen Banyuls ermöglicht die Schau, die vor allem auf Leihgaben aus dem Maillol-Museum in Paris zurückgreifen kann, einen selten umfangreichen Überblick über das Schaffen des Künstlers, der als der bedeutendste Bildhauer seiner Zeit und Mitbegründer der Klassischen Moderne gilt. Unter den Exponaten befinden sich gleich mehrere Monumentalfiguren.
Das größte Gewicht bringt mit 630 Kilogramm die Bronzearbeit »Trauer« (1921) auf die Waage - eine überlebensgroße Frauengestalt, die ganz charakteristisch für das Schaffen von Maillol ist. Ähnlich dem vor der Bielefelder Kunsthalle sinnierenden »Denker« seines Künstlerkollegen Auguste Rodin wirkt auch die auf einem Podest sitzende Trauernde in sich versunken, den Kopf gegen den rechten Arm gelehnt, der seinerseits auf dem Oberschenkel aufgestützt ist. Ihr Schmerz - vielleicht über den Verlust einer geliebten Person - äußert sich nicht wehklagend, sondern als stilles Innehalten. Der gesenkte Kopf mit dem unbestimmten Blick lässt die gefühlte Leere erahnen, und die leicht verkrampfte linke Hand verrät die emotionale Aufgewühltheit.
Aristide Maillol ist ein früher Verfechter des unpathetischen Realismus. Wie die meisten Frauengestalten des Künstlers strahlt auch die Trauernde eine frische Natürlichkeit, eine ungezierte Naivität und ländliche Bodenständigkeit aus.
Sein künstlerisches Interesse gilt der Sichtbarmachung einer inneren Kraft und Balance, die keinen Wert auf ästhetische Ideale legt. Und so wirken seine Frauenkörper solide und schwer. Seine »Venus« (1918-28) hat wenig gemein mit den liebreizenden Grazien der Antike. Ihre breiten Hüften wölben sich üppig, dabei wohlproportioniert über fleischigen Schenkeln. Den Eindruck allzu massiger Fraulichkeit mildert Maillol in einigen seiner Skulpturen ab, indem er die Körper nach oben hin »verschlankt« und - wie etwa bei der »Harmonie« (1940-44) oder der »Pomona« (1937) - über eine mädchenhafte Brustpartie und schmale Schultern in einen zierlichen Kopf münden lässt.
Zeitlebens beschäftigt sich Maillol mit dem weiblichen Akt. Sein »Entdecker« und Förderer, der aus Weimar stammende Kunstmäzen Harry Graf Kessler, dem Maillol den in Deutschland einsetzenden künstlerischen Durchbruch verdankt, beauftragt den »Frauen-Bildner« mit der Anfertigung einer männlichen Skulptur - eine Aufgabe, der sich der Südfranzose nur halbherzig und zaudernd stellt. Das Ergebnis ist ein eigenwilliger Akt des französischen Radrennfahrers und Jockeys Gaston Colin (1907/08). Der Tatsache, dass man damals als Sportler offenbar noch allen Sätteln gerecht werden musste, begegnet Maillol mit der Ausfertigung eines merkwürdigen Athletenkörpers: Trainiert, aber kaum muskulös, fast asketisch und in seltsam verdrehter Haltung tritt Colin dem Betrachter entgegen. Der »Radfahrer« ist nicht in Siegerpose, er wirkt mit dem gesenkten Kopf eher von einer bitteren Niederlage gezeichnet.
Ergänzt wird die vorzügliche Skulpturen-Schau um Zeichnungen, Graphiken und Buchillustrationen des Meisters, die vielfach wie Vorstudien zu seinem Plastiken aufgefasst werden können. Auch in der zweidimensionalen Körperlichkeit manifestiert sich ein schon fast greifbares Volumen wie in einem mit Kohle gezeichneten sitzenden Frauenakt, dem Maillol den beziehungsreichen Titel »Das Gebirge« gibt.
Noch bis zum 5. März (dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr) lässt sich ein Bummel durch den Neuhäuser Schlosspark mit einem Besuch der Ausstellung in der ehemaligen Reithalle verbinden, dazu bei freiem Eintritt - für eine derart exklusive Werkschau ein konkurrenzloses Angebot des Paderborner Kulturamtes. Und auch der textlich wie fotografisch hervorragende Ausstellungskatalog (Hardcover) ist mit 22 Euro ein echtes Schnäppchen.

Artikel vom 05.12.2005