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Unterkunft wird zur Todesfalle

Neun Männer sterben bei Brand in Obdachlosenheim - Festnahme

Von Thomas Pfaffe
Halberstadt (dpa). Feuerinferno in einer Obdachlosenunterkunft: Den Rettungskräften bot sich am Freitag in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) ein Bild des Grauens. Neun Menschen wurden verkohlt bis zur Unkenntlichkeit und dermaßen entstellt, dass die Polizei zunächst einen Holzstamm irrtümlich für ein zehntes Opfer hielt.

Die Männer hatten keine Chance, dem Flammentod zu entkommen. Blitzschnell müssen sich Qualm und Feuer am Freitagmorgen in den 20 Blechcontainern ausgebreitet haben. Einige Bewohner hatten noch vergeblich versucht, sich ins Freie zu schleppen.
Die Rettungskräfte fanden Leichen in den Betten, im Zimmer oder im Flur liegend. Die Opfer verloren durch den Qualm erst das Bewusstsein und verbrannten dann. Am späten Abend schien die Ursache für die Katastrophe dann klar: Einer von fünf Obdachlosen, die der Flammenhölle verletzt entkommen konnten, wurde festgenommen.
Der 55-Jährige hatte bei seiner Vernehmung zugegeben, nach einem gemeinsamen Zechgelage in seinem Zimmer mit einer brennenden Zigarette in einem Sessel eingeschlafen zu sein. Als er erwachte, stand das Zimmer in Flammen. Die Ermittler gingen davon aus, dass diese Zigarette Auslöser der Katastrophe gewesen sein könnte.
Zuvor mussten sich die Experten des Landeskriminalamts für ihre grauenhafte Aufklärungsarbeit durch eine Trümmerlandschaft wühlen. Die Blechcontainer wurden zerstört. Wo noch Wände stehen, sind diese rußschwarz. Dazwischen liegen einzelne Schuhe, Töpfe, von der Hitze verbogene Bettgestelle und Einrichtungsgegenstände, deren Zweck nicht mehr zu bestimmen ist.
Ein Anwohner schildert die Minuten, in der die neun Menschen ums Leben gekommen sein müssen. »Fünf Menschen rannten aus den Containern raus und schrieen, dass da noch Leute drin sind«, sagt er.
Schockiert ist Michael Haase vom Halberstädter Ordnungsamt. Schon seit 1996 bestehe die Unterkunft am Rande der Stadt. Nie habe es Probleme gegeben. »Hier sah immer alles sauber und gepflegt aus«, sagte Haase. Im kommenden Jahr wäre die Genehmigung für den Komplex abgelaufen, dann wäre entweder eine Sanierung oder ein Neubau fällig gewesen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Bielefeld-Bethel nahm die Tragödie zum Anlass, die Zustände in vielen dieser Container-Unterkünfte zu kritisieren. »Es wird ganz viel mit Provisorien gearbeitet«, sagt Werena Rosenke, stellvertretende Geschäftsführerin der Organisation. Deshalb sei der Brandschutz oft mangelhaft. Für Altenheime oder Krankenhäuser etwa stellte die Heimaufsicht viel strengere Richtlinien auf. In Deutschland leben derzeit nach Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft 345 000 Wohnungslose, 144 000 davon sind alleinstehend.

Artikel vom 03.12.2005