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Das »Auge« der Bundeswehr
hat Prizren immer im Blick

Soldaten auf Fußpatrouille - In der »Brautstraße« gibt es alles zu kaufen

Aus dem Kosovo berichtet
Dirk Schröder
Prizren (WB). Schnell ist die sogenannte »Brautstraße« erreicht. Bundeswehr-Hauptmann Jan G. und sein Trupp sind auf Patrouille in der Innenstadt von Prizren, der zweitgrößten Stadt des Kosovo. Viele Menschen winken den Soldaten zu - beileibe nicht nur Kinder - kein Zweifel, die Bundeswehr ist hier gern gesehen.
Ein alltägliches Bild mitten in Prizren: Bundeswehr-Soldaten kontrollieren zivile Fahrzeuge. Die Einwohner haben dafür viel Verständnis, lassen diese Kontrollen mit Gleichmut über sich ergehen. Fotos: Dirk SchröderDer Beobachtungsposten »Auge« hoch über Prizren. Von hier aus können die Soldaten früh erkennen, wenn es Menschenansammlungen gibt.

Auf einem Parkplatz, direkt neben der Residenz des Bürgermeisters, der sich dort mit internationaler Unterstützung einen Prachtbau hingesetzt hat, haben die Ahlener Soldaten, die Teil der Panzerbrigade 21 aus dem lippischen Augustdorf sind, ihren Vorposten aufgeschlagen. Alle paar Monate wechseln die Soldaten ihren Standort, um auch in anderen Stadtteilen präsent zu sein.
Alle im Kosovo stationierten Bundeswehrsoldaten verzichten bei ihrem Einsatz auf Namens-schilder, um ihren Familien zu Hause zu schützen. »Johnboy«, wie auf Hauptmann Jan G.s Namensschild steht, betont ausdrücklich, dass es wichtig sei, sich in der Stadt zu zeigen, um auch die Gewaltbereiten und Fanatiker von unüberlegten Handlungen abzuhalten. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung lehnt Gewalttaten ab, wie sie noch im März des vergangenen Jahres Prizren erschütterten.
Die deutsche Fußstreife will die Bevölkerung nicht kontrollieren, doch die Anwesenheit in der Stadt trägt dazu bei, dass der Alltag für die Bewohner im Moment ruhig verläuft. Häufig werden die Soldaten von den Einheimischen angesprochen, wird ihre Anwesenheit begrüßt.
Hauptmann Jan G. ist studierter Historiker und so weiß er eine Menge über die 110 000-Einwohner-Stadt zu berichten. Prizren, umgeben vom Hochgebirge, auf dem schon längere Zeit viel Schnee liegt, zählt zu den ältesten Städten Europas. Früher war Prizren eine blühende Stadt, doch heute herrscht auch dort eine Arbeitslosigkeit von mehr als 60 Prozent. Auf der anderen Seite blüht die organisierte Kriminalität. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat der Kosovo mehr Euro-Millionäre als Deutschland. Und der Euro ist dort auch das gängige Zahlungsmittel.
Beim Gang durch die »Brautstraße« - von den Soldaten wegen der vielen Geschäfte mit Brautmode so genannt - ist von der Arbeitslosigkeit wenig zu spüren. Die Läden sind voll, zu kaufen gibt es (fast) alles.
Das orientalische Flair der Stadt ist nicht zu übersehen. Eine Brücke am Ende der »Brautstraße« überspannt den Fluss Bistrica und bildet den Übergang in die Altstadt. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf die schönste der elf Brücken in der Stadt, eine typisch türkische Bogenbrücke, auch »Kanzlerbrücke« genannt. Die Bilder mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder bei seinem Besuch im Kosovo gingen 1998 um die Welt.
In Prizren findet man nicht nur die größte Moschee des Balkans, die Sinan Pasha-Moschee, dort gibt es auch einen römisch-katholischen und einenserbisch-orthodoxen Bischofssitz.
Und hoch über der Stadt befindet sich eine Klosterruine. Hier hat die Bundeswehr ihren Beobachtungsposten »Auge« eingerichtet. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick über die Stadt, auch auf das während der Unruhen vor 20 Monaten zerstörte Serbenviertel, das direkt unterhalb der Ruine liegt und heute Sperrgebiet ist.
Hauptmann Jan G. erläutert mit Blick auf den während der Unruhen zerstörten serbischen Bischofssitz noch einmal die damaligen Ereignisse, die zu heftiger Kritik an der Bundeswehr geführt hatten. »Kurzfristig wurde auch der katholische Bischofssitz belagert und sollte niedergebrannt werden. Für mich ist das der beste Beweis, dass die Anstifter von außen gekommen sind und hier die Stimmung angeheizt haben.« Die Bundeswehr habe damals den Auftrag gehabt, den serbischen Bischof in Sicherheit zu bringen. Diesen Auftrag habe sie erfüllt.
Seit dem März des vergangenen Jahres ist es in Prizren verhältnismäßig ruhig. Von Zeit zu Zeit gibt es eine Demonstration oder auch nur eine Spontanaktion, weil der Strom wieder einmal abgeschaltet worden ist. Das gefällt den Einwohnern von Prizren nicht, für den Strom zahlen aber wollen sie auch nicht. Und so lassen sie schon einmal auf der Straße ihrem Unmur Lauf
Die Anwesenheit von Hauptmann Jan G. und seine Soldaten trägt dazu bei, dass das Alltagsleben in Prizren in ruhigen Bahnen verläuft. Ohne KFOR-Truppen ist ein dauerhaft friedliches Zusammenleben aber noch nicht möglich.

Artikel vom 13.12.2005