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Soldaten und Engelchen
Zinnfiguren werden heute überwiegend von Sammlern gekauft
Zinnfiguren sind, was Ursprung und Vielfalt betrifft, ein deutsches Spielzeug. Am Anfang stand der Soldat. Heute wird in Fachgeschäften und auf den Weihnachtsmärkten auch viel Christbaum-Schmuck verkauft.
Die ersten Zinn-Spielfiguren wurden wohl in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Nürnberg herstellt. Das Rohmaterial kam aus den Zinnlagern im Fichtelgebirge und im Böhmerwald. Um das Jahr 1660 soll der »tüchtige Mechaniker Gottfried Hautsch« in Nürnberg ein Regiment von Reitern und Musketieren für den französischen Dauphin hergestellt haben.
Spürbar intensiviert hat sich die Produktion der zwei bis drei Zentimeter großen Zinnfiguren etwa zwei Jahrhunderte später. Jetzt waren es erst recht kleine Soldaten, die - vom Zeitgeist und den militärischen Erfolgen Friedrichs des Großen getragen - ihren Siegeszug in die ganze damals bekannte Welt antraten. Dank einer angegossenen Fußplatte konnten die flachen Zinnfigürchen aufgestellt werden. Da nun jeder möglichst Soldaten seiner Heimat besitzen wollte , waren die Figuren nicht nur Spiel-, sondern bald auch Sammlerobjekte.
Nach den zeitgenössischen wurden historische Schlachten wie jene um Troja oder am Teutoburger Wald nachgestellt. Dazu kamen nun friedlichere Motive: Jahrmärkte beispielsweise, kirchliche Prozessionen und Eislauf-Szenen, die neue Nürnberg-Fürther-Eisenbahn, Gärten und Weinberge. Auch die Freiheitskämpfer von 1848 wurden in Zinn gegossen, wenige Jahrzehnte später ebenso die einheimischen und deutschen Soldaten im Ostafrika-Korps.
Die Figuren, die als »Nürnberger Tand« auch nach Frankreich, England und Russland verkauft wurden, waren in Wirklichkeit kleine, vergleichsweise teure Kunstwerke. Andere billigere Materialien wie Weißblech, Elastolin (= Mischung aus Sägemehl und Leim) und nach dem Zweiten Weltkrieg der Plastik verdrängten den Werkstoff Zinn.
Eine der wenigen Manufakturen, die übrigblieben, ist die kunstgewerbliche Zinngießerei Babette Schweizer im bayerischen Diessen am Ammersee. Die Geschichte dieser Firma ist eher untypisch. Obwohl bereits 1796 gegründet, produzierte sie nämlich nicht Zinnsoldaten, sondern vor allem kleine Kreuze und Amulette. Abnehmer waren die Pilger, die zu den Wallfahrtsorten im so genannten »Pfaffenwinkel«Êstrebten. Die Amulette nahmen sie als Andenken oder Mitbringsel für die Daheimgebliebenen mit nach Hause.
Heute umfasst der Formenschatz der Zinngießerei mehr als 8000 unterschiedliche Artikel. Das reicht von Feuerwehr-Figuren über Osterhasen bis zu einer Löwenfigur mit dem bayerischen Wappen. Den breitesten Raum im Sortiment aber nimmt der Christbaumschmuck ein. Erstmals um 1850 für das Königshaus entwickelt, finden die Tannenzapfen und Kugeln, Engel und Weihnachtsmänner, Schlitten und Schaukelpferde auch bei der bürgerlichen Kundschaft begeisterte Abnehmer.
Auch Soldaten-Figürchen führt Babette Schweizer noch im Programm - für die wenigen Sammler, die sich dafür interessieren. Auf Jugendliche üben sie keinen Reiz mehr aus. Sie spielen ihre Schlachten heute am Computer. Das wirkt echter. Und wenn der Kampf vorbei ist, stehen die Soldaten wieder ganz von allein auf -Êdurch einfachen Druck auf den »New Game«-Knopf. Bernhard Hertlein
www.zinnfiguren.de

Artikel vom 10.12.2005