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Gegen fünf Uhr kam er wieder aus seinem Zimmer. Camille kämpfte gerade mit einem Lampenfuß:
»Was ist denn hier los?«
»Ich ziehe um.«
»Wohin?« fragte er und erbleichte.
»Hierher«, antwortete sie und zeigte auf den Haufen kaputter Möbelstücke und den Teppich mit toten Fliegen, bevor sie eine ausladende Armbewegung machte: Darf ich vorstellen? Mein neues Atelier.
»Nee!«
»Doch!«
»Und dein Job?«
»Mal schauen.«
»Und Philou?«
»Ach, Philou.«
»Was?«
»Der ist im Moment nicht ganz da.«
»Wie?«
»Ach, nichts.«
»Soll ich mit anpacken?«
»Nur zu!«

Mit einem Mann ging es viel leichter. Innerhalb von einer Stunde hatten sie den ganzen Kram ins Zimmer nebenan geschleppt. Ein Zimmer, dessen Fenster zugemauert waren wegen »schadhafter Stützmauern«.
Sie paßte einen ruhigen Moment ab - er trank ein kühles Bier und schätzte den Umfang der geleisteten Arbeit ab -, um ihre letzte Salve abzufeuern:
»Am nächsten Montag möchte ich mittags mit Philibert und dir meinen Geburtstag feiern.«
»Eh... Willst du das nicht lieber abends machen?«
»Warum?«
»Na ja, du weißt doch. Montags bin ich dran.«
»Ach ja, Pardon, ich habe mich falsch ausgedrückt: Am nächsten Montag möchte ich mittags mit Philibert und dir und Paulette meinen Geburtstag feiern.«
»Bei ihr? Im Heim?«
»Eh, nein! Du wirst doch bestimmt ein nettes kleines Lokal für uns finden!«
»Und wie kommen wir dahin?«
»Ich hatte mir vorgestellt, daß wir uns ein Auto mieten.«
Er schwieg und dachte bis zum letzten Tropfen nach.
»Sehr gut«, sagte er und zerdrückte seine Dose, »der Punkt ist nur, daß sie anschließend immer enttäuscht sein wird, wenn ich allein komme.«
»Das... ist durchaus möglich.«
»Du mußt dich ihr gegenüber nicht verpflichtet fühlen, weißt du?«
»Nein, nein, ich mache das für mich.«
»Okay, das mit der Kiste krieg ich hin. Ich hab einen Kumpel, der nur zu glücklich ist, wenn ich ihm im Tausch mein Bike überlasse. Diese Fliegen sind wirklich eklig.«
»Ich habe mit Staubsaugen gewartet, bis du wach bist.«
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Alles in Ordnung. Hast du deinen Ralph Lauren gesehen?«
»Nein.«
»Herrlisch isses, das kleine Hindschen, sie ist säähr, säähr glicklisch.«
»Wie alt wirst du?«
»Siebenundzwanzig.«
»Wo warst du vorher?«
»Pardon?«
»Bevor du hierhergekommen bist, wo warst du da?«
»Na ja, hier oben!«
»Und davor?«
»Dafür haben wir jetzt nicht die Zeit. Wenn du mal einen Abend da bist, erzähl ichÕs dir.«
»Das sagst du nur.«
»Doch, doch, ich fühl mich jetzt besser. Ich werde dir von dem erbaulichen Leben der Camille Fauque berichten.«
»Was heißt erbaulich?«
»Gute Frage.«
»Heißt das Ýwie ein GebäudeÜ?«
»Nein. Das heißt ÝbeispielhaftÜ, ist aber ironisch gemeint.«
»Ach?«
»Wie ein Gebäude, das gerade einstürzt, wenn du so willst.«
»Wie der Turm von Pisa?«
»Genau!«
»Scheiße, Mann, das Leben mit einer Intellektuellen ist echt heftig.«
»Gar nicht! Im Gegenteil, es ist angenehm!«
»Nee, heftig. Ich hab ständig Angst, ich mach Õn Rechtschreibfehler. Was hast du heut mittag gegessen?«
»Ein Sandwich mit Philou. Aber ich hab gesehen, daß du mir was in den Ofen gestellt hast, das eß ich gleich. Vielen Dank auch. Das ist superklasse.«
»Bitte schön. Okay, ich muß los.«
»Und du, alles in Ordnung?«
»Müde.«
»Dann schlaf halt!«
»Ich schlaf doch auch, aber ich weiß nicht. Ich hab echt keinen Bock mehr. Okay, ich muß zurück.«

17. Kapitel
N
a so was. Erst sieht man dich fünfzehn Jahre nicht, und jetzt bist du fast jeden Tag hier!«
»Hallo, Odette.«
Schmatzende Küßchen.
»Ist sie da?«
»Nein, noch nicht.«
»Gut, dann setzen wir uns schon mal. Hier, darf ich Ihnen meine Freunde vorstellen: Camille...«
»Guten Tag.«
»... und Philibert.«
»Sehr erfreut. Entzück...«
»Schon gut! Schon gut! Katzbuckeln kannst du später noch.«
»Komm, sei nicht so nervös!«
»Ich bin nicht nervös, ich hab Hunger. Ah, da ist sie ja... Hallo, Omi, guten Tag, Yvonne. Stoßen Sie mit uns an?«
»Guten Tag, lieber Franck. Nein, vielen Dank, ich habe das Haus voll. Wann soll ich sie wieder abholen?«
»Wir bringen sie zurück.«
»Aber nicht zu spät! Das letzte Mal haben sie mit mir geschimpft. Sie muß vor halb sechs zurück sein.«
Franck holte tief Luft.
»Gut, Omi. Darf ich dir Philibert vorstellen.«
»Gnädige Frau.«
Er verneigte sich, um ihr die Hand zu küssen.
»Los, setzen wir uns. Nicht doch, Odette! Keine Karte! Lassen Sie den Chef machen!«
»Einen kleinen Aperitif?«
»Champagner!« antwortete Philibert und wandte sich dann an seine Nachbarin: »Mögen Sie Champagner, Madame?«
»Ja, ja«, sagte Paulette, eingeschüchtert von so viel Umgangsformen.
»Hier, etwas Griebenschmalz für den ersten Hunger.«

Alle waren ein wenig verkrampft. Zum Glück lösten die Landweine der Loire, der Hecht in geschäumter Butter und der Ziegenkäse schnell die Zungen. Philibert widmete sich seiner Nachbarin, und Camille lachte über Francks dumme Sprüche:
»Ich war... Pff... Wie alt war ich, Omi?«
»Mein Gott, das ist so lange her. Dreizehn? Vierzehn?«
»Ich war im ersten Lehrjahr. Damals, das weiß ich noch, hatte ich vor dem René richtig Schiß. Hab mich nicht wohl gefühlt in meiner Haut. Aber gut. Er hat mir einiges beigebracht. Er hat mich aber auch wahnsinnig gemacht. Ich weiß nicht mehr, was er mir gezeigt hat. Rührlöffel, glaub ich, und hat mir erklärt:
ÝDen hier nennt man den großen Küchenfreund, und der andere, der heißt der kleine Küchenfreund. Merk dir das, Bengel, wenn dich der Lehrer fragt. Weil, es gibt zwar die Bücher, gut und schön, aber das sind die Begriffe der Köche. Der wahre Jargon. Daran erkennt man einen guten Lehrling. Also? Weißt duÕs noch?Ü
ÝJa, Chef.Ü
ÝWie heißt der hier?Ü
ÝDer große Küchenfreund, Chef.Ü
ÝUnd der andere?Ü
ÝNa ja... der kleine.Ü
ÝDer kleine was, Lestafier?Ü
ÝDer kleine Küchenfreund, Chef!Ü
ÝGut so, mein Junge, gut so. Aus dir wird noch was.Ü Mann! Was war ich damals naiv! Was haben die mich verarscht. Aber es wurd nicht immer gelacht, stimmtÕs, Odette? Es gab auch Tritte in den Hintern.«
Odette, die sich zu ihnen gesetzt hatte, nickte.
»Oh, jetzt ist er ruhiger geworden, weißt du?«
»Das ist klar! Die jungen Leute von heute lassen sich das nicht mehr gefallen!«
»Erzähl mir nichts von den jungen Leuten von heute. Schlimm ist das. Man darf nichts mehr zu ihnen sagen. Schon sind sie eingeschnappt. Was anderes können sie nicht mehr, als eingeschnappt sein. Anstrengend ist das. Anstrengender als ihr damals, als ihr den Mülleimer in Brand gesteckt habt.«
»Ach, ja! Das hatt ich schon wieder vergessen.«
»Ich nicht, ich weiß es noch genau, das kannst du mir glauben!«

Das Licht ging aus. Camille blies die Kerzen aus, und der ganze Saal applaudierte.
Philibert verdrückte sich und kam mit einem großen Paket wieder:
»Das ist von uns beiden.«
»Ja, aber seine Idee«, präzisierte Franck. »WennÕs dir nicht gefällt, ich bin nicht verantwortlich. Ich wollte dir einen Stripper besorgen, aber das hat er nicht gewollt.«
»Oh, danke! Das ist lieb von euch!«

Es war ein Aquarelltisch im sogenannten »Landhausstil«.

Philibert las mit Tremolos in der Stimme die Gebrauchsanweisung vor:
»Zusammenklappbar mit verstellbarem, zweistufigem Neigungswinkel, stabil, große Arbeitsfläche, zwei geräumige Schubladen. Zur sitzenden Tätigkeit geeignet, besteht aus vier Beinen, was uns sehr freut... aus Buchenholz, zwei Beine lassen sich jeweils gleichzeitig einklappen, eine Querverstrebung verleiht dem Gerüst in aufgeklapptem Zustand große Stabilität. In geschlossenem Zustand werden die Schubladen damit blockiert. Die Tischplatte läßt sich dank eines doppelten Kesselhakens schrägstellen. Ein Block im Format von maximal 68 x 52 cm kann darin verstaut werden. Ein paar Blätter sind schon da, für den Fall, daß... Ein integrierter Griff erlaubt den Transport des Gerüsts in zusammengeklapptem Zustand. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.12.2005