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Napoleon soll
Frankreichs
Wunden heilen

Austerlitz jährt sich zum 200. Mal

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Geschichte soll die triste Gegenwart aufhellen. Nach den schweren sozialen Unruhen kommt Frankreich der 200. Jahrestag der Schlacht von Austerlitz wie gerufen. Das pompöse militärische Zeremoniell am Freitag dient der Rückbesinnung auf Napoleon, auf Jahrzehnte, in denen Frankreich wirklich noch eine Grande Nation war.

Obwohl deutlich in der Unterzahl, schlugen Napoleons Soldaten am 2. Dezember 1805 bei Austerlitz in Böhmen die Armeen Österreichs und Russlands. Die Koalition bot 86 000 Artilleristen, Infanteristen und Kavalleristen auf und musste sich dennoch den 73 000 Franzosen beugen, die nur halb so viele Kanonen mit sich führten. Napoleon ließ seine Einheiten den Feldherrenhügel des russischen Befehlshabers Michail Kutusow attackieren. Als der Kommandostand gestürmt war, flüchteten Österreicher und Russen. Nach der Schlacht beklagte die Koalition 16 000 Tote, Frankreich büßte »nur« 1300 Männer ein.
Austerlitz begründete Napoleons Ruf als genialer Feldherr und beendete die fast 900-jährige Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Franz II. von Österreich verzichtete am 6. August 1806 auf die deutsche Kaiserwürde, Bayern und Württemberg erhielten den Status von Königreichen, mussten aber im Gegenzug Napoleon Truppen stellen. In Austerlitz sieht die Geschichtswissenschaft einen Beweis für die Überlegenheit moderner Volksheere. Der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler sagte gestern dieser Zeitung: »Die Kriegführung der konservativen absolutistischen Staaten beruhte darauf, dass geschlossene Einheiten zu Trommelklang aufmarschierten, sich die erste Reihe hinkniete und schoss und dann die hinter ihnen stehenden Soldaten über deren Köpfe auf den Feind feuerten.« Napoleon habe die Blockformationen aufgelockert und damit seine Truppen beweglicher gemacht.
Dem Kaiser der Franzosen sei zudem ein »vorzügliches geografisches Gedächtnis« und der Blick dafür zu eigen gewesen, wie sich eine Schlacht entwickelt. Statt aus dem Zentrum heraus zu operieren, habe Napoleon immer weider Attacken über die Flügel gestartet und dann plötzlich alle Kräfte auf einen Punkt konzentriert. Nach zahlreichen glänzenden Siegen habe bei den Soldaten euphorische Stimmung »wie bei der Deutschen Wehrmacht von 1939 bis 1941« geherrscht, sagte Wehler.
Im Gegensatz zu Österreich, Russland und Preußen hatten im Offizierskorps Bürgerliche das Sagen. Die Erfolge der Heere Napoleons seien auch auf die »Überreste des revolutionären Ethos« zurückzuführen, schreibt der britische Militärhistoriker John Keegan. Das Dekret vom 23. August 1793 hatte für die »levée en masse«, die Dienstpflicht aller waffenfähigen Männer, gesorgt und die Grundlage für gewaltige Volksheere geschaffen. Frankreichs Heer wuchs in dem Jahr auf 983 000 Mann an. Erstmals konnten Bürgerliche Offiziere werden, nutzten hoch motiviert ihre Chance und steigerten die Schlagkraft der Heere.
Nachdem die Schlacht in den Pariser Vororten beendet ist, feiert Frankreich mit hohen Gästen der EU und Russlands am Freitag Austerlitz auf dem Vendome-Platz. Nach der Walstätte ist ein Kopfbahnhof in der Hauptstadt benannt. Ausgerechnet jetzt beschmutzt der Historiker Claude Ribbe Napoleons Ansehen mit der Behauptung, er sei ein Rassist gewesen, habe die Sklaverei auf Haiti und Guadeloupe wieder eingeführt und dort den »Genozid« an etwa 100 000 Rebellen und Sklaven organisieren lassen. Somit sei Napoleon ein »Wegbereiter« Hitlers. Wehler hält solche Vergleiche für illegitim: »Der historische Kontext zwischen 1795 und 1815 ist ein völlig anderer als der bei Hitlers rassistischem Vernichtungskrieg.«

Artikel vom 30.11.2005