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Von heute an Ruheständler: Staatsanwalt Michael Bensinger.Foto: Uwe Koch

»Die Würfel fallen eben schon früh im Elternhaus«

Staatsanwalt Michael Bensinger geht in den Ruhestand

Bielefeld (uko). Das Jugendstrafrecht ist großer Teil seines Lebens gewesen. Gewalt unter Jugendlichen, sagt Michael Bensinger, »hat zugenommen«. Gleichwohl vermied er es, »den Stab über einen Menschen zu brechen«. Heute, nach mehr als 28 Jahren Dienst, geht Staatsanwalt Michael Bensinger in den Ruhestand.

Geboren worden ist Michael Bensinger 1940 in Halberstadt/Harz, von wo seine Familie jedoch in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in den Westen Deutschlands flüchtete. Nach Essen wurde Velbert die Heimat der Familie, später zog man nach Münster um, wo der Vater als Landesbaudirektor beim Landschaftsverband tätig war.
Noch in Velbert legte Michael Bensinger 1959 sein Abitur ab, sein Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er in Freiburg, Hamburg und Münster. Das 1. Staatsexamen folgte in Hamm. Nach einer Referendarzeit in Berlin, Bonn und Münster folgte 1971 das 2. Staatsexamen in Düsseldorf. Nach kurzen Aufenthalten in Berlin und Bonn als Rechtsanwalt kam Michael Bensinger zur Staatsanwaltschaft Bielefeld, wo er am 28. Februar 1977 eine Planstelle als Dezernent erhielt.
Als Staatsanwalt befasste er sich nahezu ausschließlich mit dem Jugendrecht, das nicht so streng wie das Erwachsenenstrafrecht ausgelegt ist. »Der Erziehungsgedanke steht hier mehr im Vordergrund«, das mache auch den Reiz dieser Art von Strafrecht aus, weil man bei den Betroffenen noch etwas erreichen könne. Michael Bensinger erlebte auch die lange Jahre praktizierte Form der Diversion, die Jugendlichen und Heranwachsenden das formelle Strafverfahren ersparen sollte, als also sehr häufig Verfahren im Ermittlungsstadium eingestellt wurden.
Er hat jedoch häufig Delinquenten erleben müssen, wo schon die entscheidenden Fehler im Elternhaus gemacht wurden, wo man nur noch von »Verwahrlosung« sprechen konnte. Nur Eltern könne man nicht bei der Verwirklichung bestimmter Tatbestände mit auf die Anklagebank setzen, sagte Michael Bensinger: »Die Würfel fallen eben im Elternhaus.« Gewalt hat er in den vergangenen Jahren unter jungen Menschen vermehrt und brutaler erlebt. Dass es »Kulturkreise gibt, wo Gewalt an der Tagesordnung ist«, mag er nicht hinnehmen. »Wer hier wohnt«, sagte er, »muss wissen, dass hier andere Maßstäbe gelten.«
Patentrezepte gibt es bei Jugendstrafrechtlern halt nicht, wichtig sei, dass sich beteiligte Institutionen ständig an einen Tisch setzten, dass man »sich auch mit der Biographie straffällig gewordener junger Menschen intensiv befasst«. Das sei angesichts der Fülle und der Problematik der Fälle allerdings nur schwer möglich. Sein Resümee lautet daher: »Jugendstrafrecht kann man eigentlich nur mit schlechtem Gewissen betreiben.«
In seinem Ruhestand will Michael Bensinger vor allem lesen. Er mag Biographien, zudem will er sich mit Philosophie beschäftigen. Michael Bensinger, der verheiratet ist, eine Tochter und ein Enkelkind hat, wandert gern und fährt viel Fahrrad.

Artikel vom 30.11.2005