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Dufte Typen kann man gut riechen

Prof. Erhardt Heidt erforscht Alltagskultur und befasst sich mit Gerüchen


Von Sabine Schulze (Text) und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Weihnachten - das ist auch die Zeit der Düfte. Nicht nur, weil auf den Weihnachtsmärkten Glühwein und Bratwurst locken, sondern auch, weil Parfüm und Eau de Toilette zu den beliebtesten Geschenken zählen. Einer, der sich wissenschaftlich mit Geruch, Duft und auch Gestank befasst, ist Prof. Dr. Erhardt Heidt.
Der Mensch kann die Augen vor etwas verschließen oder sich die Ohren zuhalten. Er kann aber nicht verhindern zu riechen. Viel mehr, als uns bewusst ist, bestimmt der Geruchssinn unser Leben und zieht sich, wie Heidt es nennt, die Duftspur durch unsere Kultur. Kulturanalyse und -vergleich sind ein Schwerpunkt des Wissenschaftlers, der an der Fakultät für Pädagogik lehrt. Und zu den Aspekten der Alltagskultur, denen er nachgeht, gehört der Geruch.
»Der Teil der Nase, der riecht, sind die Millionen Zellen der Geruchsepithel, ein offener Teil des Zentralen Nervensystems mit direktem Zugang zum Gehirn«, erklärt er. Gerüche werden direkt an das Limbische System geleitet - an den Teil des Gehirns, der Erinnerungen speichert und Gefühle und Motivation steuert. Deshalb auch prägen Gerüche stark. »Das Parfüm der ersten Freundin, das klassische Bohnerwachs in Schulen - das alles weckt bei jedem Erinnerungen.« Zudem ist der Geruch wesentlich für den Geschmack: Wer eine verstopfte Nase hat, wird kein Gericht genießen können. Und Heidt erinnert sich mit Grausen an eine Weinprobe, die er neben einer stark parfümierten Dame absolvieren musste: »Vom Bukett des Weines habe ich kaum etwas mitbekommen.«
Womit die erste Regel für den Umgang mit Düften auf der Hand liegt: Nur nicht übertreiben. »Das sagen schon 100 Jahre alte Etikettebücher.« Dermaleinst galt aber auch, dass ein Herr nicht nach Fremddüften riechen solle - sich also nicht parfümierte. Heute, weiß Heidt, gibt es 150 Herrendüfte auf dem Markt - und doppelt so viele für die holde Weiblichkeit. Dabei werden bestimmte Düfte gerne bestimmten Typen zugeordnet, wie der Kulturforscher in Feldversuchen in Parfümerien und an Studierenden testete. »Es folgt quasi kulturellen Regeln, dass der erfolgreichen Bankkauffrau kein liebliches Maiglöckchenparfüm, sondern »Boss woman« empfohlen wird.« Und weil die Werbung das Ihrige tut, ist »CK one« bei jungen Menschen ein Renner.
Dabei ist das Bedürfnis, sich zu parfümieren uralt. Schon im Alten Testament gibt es unzählige Hinweise und genaue Anleitungen, wie Zimt, Myrrhe oder Rosenwasser zu mixen seien. »Gott mag und möchte Duft - es ist nämlich ein Opfer für ihn.« Heutzutage allerdings wird quasi von oben bis unten parfümiert, »werden Körpergerüche und alles, was natürlich ist, weggesprayt«.
Wie sehr die Nase Instinkte weckt, weiß man seit Patrick Süskinds »Parfüm«. Auch Autohersteller machen sich zunutze, dass die Nase elementare Botschaften vermittelt, und Gebrauchtwagenhändler setzen Neuwagen-Spray ein. Und kaum ein Waschmittel ohne Duftstoffe: Denn Bluse und Strümpfe sollen nicht nur sauber sein, sondern auch so riechen.
Stinkt hingegen etwas, reagiert der Körper mit Abwehr. »Denn Geruch erinnert nicht nur, sondern informiert auch über einen Zustand.« Ist die Milch im Kühlschrank noch frisch? Die Nase gibt die Antwort. Wobei unterschiedliche Kulturen durchaus unterschiedlich bewerten: Der von uns geschätzte französische Rohmilchkäse, der fast schon läuft und entsprechend »duftet«, würde bei Asiaten vermutlich Brechreiz auslösen, während der durchschnittliche Mitteleuropäer wohl die Finger von der südostasiatischen Frucht Durian lassen würde. Die gilt dort als Delikatesse, darf aber aus naheliegenden Gründen in Singapur nicht in der U-Bahn mitgenommen werden.
Dass die Nase in der Tat zudem über Sympathie und Antipathie entscheidet, verrät auch die Sprache: »Wenn man jemanden mag, ist er ein dufter Typ.« Wenn nicht, sollte er besser verduften (und sich wie die Geruchsmoleküle in Luft auflösen). Man kann jemanden gut riechen - oder eben nicht. Ein Unsympath ist vielleicht ein Stänkerer, und Unrecht kann bis zum Himmel stinken.

Artikel vom 16.12.2005