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Pilic kann Geschichte schreiben

Nach Deutschlands Daviscup-Triumph ist nun der Titel mit Kroatien drin

München/Bratislava (dpa). Drei Mal hat Niki Pilic mit Deutschland den Daviscup gewonnen, doch in dieser Woche kann der 66-Jährige mit seinem Heimatland Kroatien Tennis-Geschichte schreiben.
Nach den Erfolgen mit den deutschen Superstars Boris Becker (1988, 1989) und Michael Stich (1993) möchte der Wahl-Münchner im Finale gegen die Slowakei als erster Daviscup-Kapitän überhaupt mit zwei verschiedenen Ländern den wichtigsten Team-Wettbewerb gewinnen. »Ich weiß nicht, ob es der bedeutendste Titel wäre«, sagte Pilic. Aber eines unterscheidet für den Kapitän sein insgesamt fünftes Endspiel, das von Freitag bis Sonntag in Bratislava stattfindet, definitiv von denen mit dem deutschen Team: »Mit Kroatien ist alles emotionaler.«
Pilic hat in Kroatien ein sportliches Wunder vollbracht. Als er vor fünf Jahren das Amt antrat, spielte Kroatien in der dritten Liga gegen Teams wie die Elfenbeinküste oder Lettland. »Ich habe bei Null angefangen, auch mit null Geld«, sagte der Ex-Profi. »Damals dachte ich, die Qualität ist so groß, dass wir in die Weltgruppe kommen könnten. An mehr habe ich nie geglaubt.«
Doch nachdem der Außenseiter in diesem Jahr in der ersten Runde den Titelfavoriten USA auswärts mit 3:2 besiegt hatte, schien erstmals alles möglich. Kroatiens Nummer eins, Ivan Ljubicic, sorgte fast im Alleingang für die Sensation. Er besiegte im Einzel Andre Agassi in drei und Andy Roddick in fünf Sätzen, zudem gewann er im Doppel mit Mario Ancic gegen die Bryan-Brüder Bob und Mike. Trotzdem sagt Pilic vor dem Finale über seinen Top-Mann: »Ljubicic hat nicht das Niveau von Stich und Becker.« Dafür ist das Team mit Ancic und dem über zwei Meter großen Ivo Karlovic in der Breite besser besetzt als die drei deutschen Sieger-Mannschaften. Hinzu kommt in Bratislava als vierter Spieler Goran Ivanisevic, obwohl der 34 Jahre alte Wimbledonsieger von 2001 nur noch auf der Senioren-Tour aktiv ist. »Er soll nicht nur auf der Tribüne sitzen. Er hatte den großen Wunsch, als Nummer vier ins Team zu kommen«, erklärte Pilic.
Der wie Ivanisevic in Split geborene Pilic hat es stets verstanden, aus Einzelkämpfern eine funktionierende Mannschaft zu formen, die zu Höchstleistungen fähig ist. Im Büro seiner Akademie in München-Oberschleißheim, wo Fotos von den Triumphen mit Becker, Stich oder Ivanisevic die Wände zieren, erzählte er eine Episode aus den komplizierten Zeiten mit den Wimbledonsiegern Becker und Stich. »Die Teamkollegen von Becker 1988 waren seine Freunde. Sie hatten akzeptiert, dass er der Megastar war. Probleme gab es erst, als Stich dazu kam. Da musste ich ein großer Diplomat sein. Wenn ich etwa an die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona denke: Becker und Stich haben im Doppel die Goldmedaille gewonnen, ohne dass sie ein Wort miteinander gesprochen haben. Das schaffen nur wenige, solche Spieler zusammenzubringen, die dann auch noch erfolgreich sind.«
Als Kapitän möchte Pilic irgendwann von Ivanisevic beerbt werden. In seiner Akademie wird man ihn aber noch einige Zeit im Trainingsanzug erleben. »Wenn Gott mir Kraft und Gesundheit gibt, kann ich den Job bis 70 machen.« An Ruhestand denkt er nicht: »Ich bin Kroate, aber ich habe die Mentalität und den Arbeitselan eines Deutschen. Ich verstehe einen Mann nicht, der Mitte 40 ist, viel Geld gemacht hat und das Leben auf Hawaii genießt.«

Artikel vom 30.11.2005