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95-Jährige harrt vier Tage in Kälte aus

Gütersloher versorgen durchgefrorenes Ehepaar - Paderborner sichern Wasserversorgung

Von Christian Althoff und
Jörn Hannemann (Fotos)
Ochtrup (WB). Notstand im Münsterland: Erst nach vier Tagen Kälte hat sich ein hochbetagtes Ehepaar in Ochtrup bei den Behörden gemeldet. Helfer aus Gütersloh bewahrten die 95 Jahre alte Frau und ihren Mann vor einer weiteren eisigen Nacht.
Freiwillige DRK-Helfer registrieren jeden, der sich in der beheizten Stadthalle von Ochtrup aufhält - damit sich Verwandte wiederfinden.

118 Freiwillige aus Ostwestfalen-Lippe sind weiterhin im Einsatz, um die Menschen zu unterstützen, die seit nunmehr fünf Tagen ohne Strom sind. Eis und Schnee hatten am Freitag 50 Strommasten des Energieversorgers RWE zusammenbrechen lassen, wodurch anfangs mehr als 365 000 Menschen im Kreis Minden-Lübbecke, in Niedersachsen und im Münsterland ohne Energieversorgung waren. Gestern waren nach Angaben von RWE nur noch 10 000 Menschen unversorgt - vor allem in Ochtrup.
Dort ist seit Sonntag Uwe Theismann von der Werksfeuerwehr Miele vor Ort. Er leitet zusammen mit Klaus Oberteicher von der Feuerwehr Schloß Holte-Stukenbrock den 66 Mann starken Verband aus dem Kreis Gütersloh, der Häuser und Höfe mit Strom versorgt. »Der erschütternde Notruf erreichte die Leitstelle Ochtrup am Dienstag gegen 0.30 Uhr«, berichtete Theismann gestern. Die 95 Jahre alte Frau und ihr annähernd ebenso alter Mann hatten sich gemeldet, weil sie die Kälte auf ihrem einsam gelegenen Gehöft nicht mehr aushielten. »Sie hatten seit Freitag ausgeharrt und sich in ihrer Bescheidenheit nicht getraut, um Hilfe zu bitten«, erzählte der Feuerwehrmann, der sofort zwei Kameraden und einen ortskundigen Fahrer mit einem Notstromaggregat in Marsch setzte. »Die Männer haben mir nach ihrer Rückkehr erzählt, dass es in dem Haus eisig kalt war. Die völlig durchgefrorene, 95 Jahre alte Frau hatte sich schließlich zu einem anderen Haus aufgemacht, in dem das Telefon noch funktionierte, und auf sich aufmerksam gemacht.«
Nachdem die Helfer aus Ostwestfalen-Lippe anfangs vor allem Bauernhöfe mit Strom versorgt hatten, mehren sich nach Theismanns Worten nun die Fälle, in denen einzelne Familien dringender Hilfe bedürfen: »Die warten aus falsch verstandener Rücksicht bis zuletzt, bevor sie uns anfordern.« So waren die Gütersloher am Vortag einer Familie zur Hilfe geeilt, deren Baby zeitweise beatmet werden musste, die aber keinen Strom für das Gerät hatte. »Wir haben einen Generator angeschlossen, bis der Säugling in eine Klinik verlegt werden konnte.«
Die Feuerwehrmänner aus dem Kreis Höxter, die vor allem in Gescher eingesetzt waren, sind gestern erschöpft nach Hause zurückgekehrt. »95 Prozent der Haushalte hängen wieder am Netz, und die übrigen werden jetzt von der örtlichen Feuerwehr versorgt«, berichtete Heinrich Muhr aus Brakel, der seit Samstag kaum Schlaf bekommen hatte. Muhr ist seit 17 Jahren Chef der Kreisleitstelle, aber einen solchen Notstand habe er noch nicht erlebt, erzählte er.
Neben den Gütersloher Feuerwehrmännern sind aus Ostwestfalen-Lippe nun noch 52 THW-Kräfte im Einsatzgebiet. Frank Uelfer aus Paderborn kehrte gestern mit einer THW-Gruppe aus dem Münsterland zurück. Dort hatten die Männer in Billerbeck Bauernhöfe stundenweise reihum an Generatoren angeschlossen, damit die Landwirte ihr Vieh füttern und tränken konnten. Andere Freiwillige wie Tankwart Olaf Gehle aus Paderborn hatten in Ochtrup mit einem 200-Kilowatt-Generator die Pumpe des Wasserwerkes in Betrieb gehalten. Die Versorgung der Helfer war dabei das kleinste Problem: »Die Menschen waren dankbar, dass wir da waren, und haben uns Essen vorbeigebracht«, sagte der THW-Mann, der seit Samstag beinahe rund um die Uhr neben seinem Aggregat gewacht hatte.

Artikel vom 30.11.2005