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Anwälte getötet oder geflohen

Chaotische Szenen im Saddam-Prozess - auf den 5. Dezember vertagt

Bagdad (dpa). Der Prozess gegen den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein und sieben Mitangeklagte ist gestern nach teils chaotischen Szenen im Gerichtssaal auf den 5. Dezember vertagt worden. Damit will der Vorsitzende Richter Risgar Mohammed Amin den Angeklagten jetzt Gelegenheit geben, neue Anwälte zu finden.
Zwei Anwälte waren erschossen worden, mehrere andere gestern nicht zum Prozess erschienen.
Der Prozess war am Vormittag nach sechswöchiger Pause mit einer ersten Zeugenaussage fortgesetzt worden. In dem Verfahren geht es um ein Massaker in dem schiitischen Ort Dedscheel im Jahre 1982 nach einem Anschlagversuch auf Saddam. Das Gericht ließ gestern als Verteidiger Saddams auch den früheren US-Justizminister Ramsey Clark zu. Er unterstützt den irakischen Chefanwalt Saddams.
Der 77-jährige Clarke war von 1967 bis 1969 unter Präsident Lyndon B. Johnson Justizminister.
Nach einer knapp eineinhalbstündigen Mittagspause gab es im Gericht teils chaotische Szenen. Der CNN-Korrespondent, der aus dem Gebäude berichtete, sprach von einer »Minirebellion«.
Kurz hintereinander standen vier der acht Angeklagten auf, darunter auch Saddam, und beschwerten sich. Ex-Vizepräsident Taha Jassin Ramadan erklärte, er habe keine Anwälte mehr. Einer sei erschossen, einer verwundet und ein anderer aus dem Land geflohen. Auch Saddams Halbbruder Barsan al-Tikriti beschwerte sich, er sei ohne Anwälte.
Der Vorsitzende Richter Risgar Mohammed Amin entschied, die Angeklagten hätten nun eine Woche Zeit, sich Anwälte zu suchen. Sollte es ihnen nicht gelingen, erhielten sie Pflichtverteidiger. Ein dritter Angeklagter berichtete von Todesdrohungen, die er erhalten habe.
Saddam seinerseits beklagte, alle seine Schreiben an den Vorsitzenden Richter seien offensichtlich nicht weiter geleitet worden.
Bereits zu Beginn des Verhandlungstages hatte sich Saddam wie schon beim Prozessauftakt am 19. Oktober selbstbewusst und streitbar gezeigt. Der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagte frühere Machthaber beschwerte sich beim Richter über die Behandlung durch die »Besatzer«. Begleitet von »ausländischen Wächtern« sei er in Hand- und Fußfesseln vier Stockwerke hoch bis zum Gerichtssaal geführt worden, sagte Saddam, der mit dem Koran unter dem Arm im grauen Anzug mit weißem Hemd erschienen war.
Er werde die Verantwortlichen darauf aufmerksam machen, da eine solche Behandlung im Gericht nicht angewandt werden sollte, erklärte Richter Amin. Saddam entgegnete: »Sie sollen sie nicht aufmerksam machen. Sie sollen es ihnen befehlen. Die sind in unserem Land. Sie sind ein Iraker, der Souverän, und die sind Invasoren und Besatzer.«
Vor der Mittagspause wurde im Gericht ein erstes Video als Beweis vorgeführt. Es zeigt Saddam Hussein 1982 direkt nach einem Anschlagsversuch in Dedscheel. Saddam ist in dem gelbstichigen Video, das aus einer Dokumentation des britischen Senders BBC stammt, bei der Befragung von Dorfbewohnern zu sehen und zu hören. Nach einer CNN-Übersetzung befahl Saddam nach der Befragung seinen Sicherheitsleuten: »Sondert sie aus und verhört sie.« Saddams Sicherheitsleute hatten nach dem gescheiterten Anschlag ein Massaker in dem Dorf verübt und 143 Männer und Jungen hingerichtet.
Auch ein Video mit der Aussage eines kürzlich an Krebs gestorbenen Zeugen wurde ausgestrahlt. Der frühere Offizier der Sicherheitskräfte erklärte, nach dem Mordanschlag auf Saddam seien in Dedscheel 400 Einwohner verhaftet worden. Er berichtete, Sicherheitskräfte hätten mehrere Menschen auf einem Bauernhof getötet. Der Befehl zur Hinrichtung sei von Saddams Halbbruder Barsan al-Tikriti gekommen.
Fast zeitgleich mit der Fortsetzung des Saddam-Prozesses sind im Irak wieder Ausländer entführt worden. Zudem wurden zwei britische Staatsbürger erschossen.

Artikel vom 29.11.2005