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Fremde Augen
in meinem Gesicht

Bielefelderin schreibt Buch über Morbus Basedow

Von Larissa Kölling
Bielefeld (WB). Die Augen sind die Fenster zur Seele - sagt man. Was aber, wenn diese Fenster durch eine heimtückische Krankheit Risse bekommen? Morbus Basedow hieß die erschütternde Diagnose für die Diplom-Pädagogin Ulrike Andrea Brocke im September 2001. Bei dieser Erkrankung richtet sich das Immunsystem gegen die eigene Schilddrüse - mit verheerenden Folgen. Doch die Bielefelderin versucht, die schwere Krankheit als Lebensaufgabe zu nehmen und beginnt noch im Krankenhaus damit, sich »das Elend von der Seele zu schreiben«.

»Ein persönliches Tagebuch war mir immer zu wenig«, erklärt die engagierte Autorin, »es ist ein Erfahrungsbericht geworden, der anderen Menschen in ähnlichen Situationen Mut machen soll, Wege aus der individuellen Krisensituation zu finden.«
Die eigene Krisensituation von Ulrike Andrea Brocke begann vor vier Jahren mit einem geschwollenen Oberlid des rechten Auges. Die Diagnose: »Morbus Basedow mit endokriner Orbitopathie«. Bei dieser Autoimmunkrankheit kämpft der Körper gegen die Schilddrüse. Folgen sind unter anderem eine vermehrte Produktion von Hormonen, was häufig zu einer Schilddrüsenvergrößerung und -überfunktion führt. Die Überfunktion der Schilddrüse verursacht vielfach folgende Symptome: schnellerer Herzschlag, vermehrtes Schwitzen, Haarausfall, innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Gewichtsabnahme trotz ausreichenden Essens und Fingerzittern.
Weiterhin können sich diese Antikörper auch gegen andere Körperstrukturen richten, wobei hier meist die kleinen Augenmuskeln und deren Bindegewebe betroffen sind. An den Augenmuskeln kann dies unter anderem zum sichtbaren Hervortreten des Augapfels führen (endokrine Orbitopathie). Während des Krankheitsprozesses kann es zu einem fortschreitenden Hervortreten der Augäpfel aus ihren Höhlen, zu ver-stärktem Tränenfluss, zu Rötung und Brennen, zu starrem Blick und zum Sehen von Doppelbildern kommen.
Mediziner gehen heute davon aus, dass die Basedow-Krankheit vielfältige Entstehungsursachen hat. Beteiligt sind Erbfaktoren, Besonderheiten des Abwehrsystems, aber auch Umwelteinflüsse (Virusinfekte, Jodbelastung und Rauchen) sowie seelische Gründe (Grundeinstellung und psychischer Stress). Erst das Zusammenspiel dieser verschiedenen Parameter scheint eine Basedow-Krankheit entstehen zu lassen. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten, wobei Frauen fünfmal häufiger betroffen sind als Männer.
Bei der Bielefelderin kam es bereits nach kurzer Zeit zu der gefürchteten Augenbeteiligung, die das Gesicht der damals 40-jährigen Frau massiv entstellte. Das von Brocke in ihrem Buch so anschaulich beschriebene »Krankheits-Untersuchungs-Therapie-Karusell« begann seine Runden zu drehen.
Zahlreiche Ärzte wurden konsultiert und unterschiedliche Therapien ausprobiert, doch weder die Cortison-Stoß-Therapie noch die Strahlentherapie brachten den gewünschten Erfolg. Auch zwei Augenoperationen im Februar 2002 misslangen. Seitdem lebt die Patientin mit ständigen Schmerzen. Vor allem das rechte Auge ist trocken, weil das Lid nicht mehr richtig schließt, auch die Hornhaut ist deshalb gerissen. Und - an ihr verändertes Gesicht kann sich die Diplom-Pädagogin mit psychologischer Zusatzausbildung bis heute nicht richtig gewöhnen.
»Im Spiegel sehe ich, dass das nicht mein Gesicht ist. Besonders meine einst strahlenden Augen sind verschwunden«, bedauert Ulrike Andrea Brocke, die sich schon immer für Augen interessiert und seit den 80er Jahren als engagierte Hobbymalerin mit zahlreichen Ausstellungen sehr häufig die »Fenster der Seele« als Motiv gewählt hat.
Doch in der Opferrolle hat sich die Bielefelderin nie gefühlt. Jammern liegt ihr fern. Ihre Ausbildung als Logotherapeutin nach Professor Viktor E. Frankl hat ihr sehr geholfen.
»Ich hätte nicht gewusst, wie ich mit der Krankheit umgehen soll, wenn mir die Therapie nicht bekannt wäre«, erklärt Brocke. Frankl (1905-1997), Begründer der Logotherapie, einer sinnorientierten Gesprächspsychotherapie, sieht das Leben als große Aufgabe. Dabei verfolgt er zwei Ansätze. Zum einen sei der Mensch frei, zu entscheiden wie er mit Dingen und Situationen umgeht - also an Schicksalhaftem verzweifelt oder es gestaltet. Zum anderen sagt Frankl, jeder Mensch suche einen Sinn im Leben und muss ihm gestellte Aufgaben lösen. Der Mensch sei mehr als seine Umstände, diese Theorie musste Frankl am eigenen Leib bei Aufenthalten in vier Konzentrationslagern erfahren.
Die Hilfe, die Ulrike Andrea Brocke durch die eigene Umsetzung der Theorien in ihrer Krisensituation erhalten hat, möchte sie mit ihrem Buch »Fremde Augen in meinem Gesicht« an andere weitergeben. »Das Buch hat mir geholfen, mich selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen«, sagt Brocke, die ihr Erstlingswerk sehr anschaulich und gut zu lesen, aber ohne Mitleidspassagen und dafür mit viel Ehrlichkeit verfasst hat.
www.morbusbasedow.de

»Fremde Augen in meinem Gesicht«, Ulrike Andrea Brocke, EWK Verlag, Kühbach-Unterbernbach 2005, 216 Seiten, ISBN 3-938175-19-2, 14 Euro.

Artikel vom 02.12.2005