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Ja, ja, das ist schlimm, aber ich hab ihm schon gesagt, heute kann man das heilen. Die haben die richtigen Medikamente gefunden.«

Sie war so perplex, daß sie vergaß, mit dem Fahrstuhl zu fahren. Was war das für ein Chaos? Warum waren die Geschirrtücher nicht bei den Geschirrtüchern und das Frottee nicht beim Frottee?
Wo lief das alles hin?
Das Leben war weniger kompliziert, wenn sie nur ihre Steine stapelte. Komm, sag das nicht, du blöde Nuß.
Nein, hast recht. Das sag ich nicht.

»Was ist los?«
»Pff... Sieh dir meinen Pulli an«, tobte Franck. »Diese scheiß Maschine! Verflucht, und den mocht ich besonders gern. Sieh dir das an, Mensch! Sieh dir das an! Der ist total winzig geworden!«
»Warte, ich schneid dir die Ärmel ab, die kannst du dann der Concierge für ihre Ratte geben.«
»Ja, mach dich nur lustig. Ein ganz neuer Ralph Lauren.«
»Um so besser, das wird sie freuen! Außerdem ist sie ganz vernarrt in dich.«
»Ach ja?«
»Das hat sie mir gerade wieder gesagt: ÝAh, wie flott er aussieht, Ihr Freund, auf seinem schönen Motorrad!Ü«
»Nee!«
»Ich schwörÕs.«
»Okay, dann wollen wir mal. Ich bring ihn vorbei, wenn ich abhau.«

Camille biß sich auf die Wangen und schneiderte einen schicken Muff für Pikou.

»Du weißt, daß du dir viele Küßchen einhandeln wirst, du Glückspilz.«
»Hör auf, ich hab Schiß.«
»Und Philou?«
»Du meinst Cyrano? In der Theaterprobe.«
»Ehrlich?«
»Du hättest ihn sehen sollen, als er ging. Verkleidet als wer-weiß-was. Mit einem weiten Umhang und allem.«
Sie lachten.
»Ich finde ihn wunderbar.«
»Ich auch.«
Sie ging, um sich einen Tee zu kochen.

»Willst du auch einen?«
»Nein, danke«, antwortete er, »ich muß los. Sag mal...«
»Was?«
»Hättest du Lust auf einen Ausflug?«
»Pardon?«
»Wie lang bist du nicht mehr aus Paris rausgekommen?«
»Eine Ewigkeit.«
»Sonntag ist Schlachtfest, hättest du nicht Lust, mitzukommen? Ich bin sicher, das würde dich interessieren. Ich sag das wegen der Bilder und so.«
»Wo?«
»Bei Freunden im Cher.«
»Ich weiß nicht.«
»Na klar! Komm mit. Das muß man einmal im Leben gesehen haben. Irgendwann gibtÕs das nicht mehr, weißt du?«
»Ich denk drüber nach.«
»Ja, ja, denk drüber nach. Das Nachdenken ist ja deine Spezialität. Wo ist mein Pulli?«

»Hier«, sagte Camille und zeigte ihr herrliches, hellgrünes Hundejäckchen.
»Verflucht, und dann auch noch ein Ralph Lauren. Das gibt mir den Rest, echt wahr.«
»Komm schon. Du machst dir damit zwei Freunde fürs Leben.«
»Von wegen, der pißt mir eher ans Motorrad, der Köter!«
»Mach dir keine Sorgen, das funktioniert«, prustete sie und hielt ihm die Tür auf. »Dock dock, wenn isch es Ihnen sage, was sieht er flott aus auf seinem Moped, Iiihr Freund.«

Sie lief, um den Teekessel auszustellen, nahm ihren Block und setzte sich vor den Spiegel. Sie fing an zu lachen. Wie verrückt. Ein richtiger Kindskopf. Sie stellte sich die Szene vor: wie der eingebildete Trottel lässig an die Scheibe der Pförtnerloge klopfte, mit seinem Wollfilz und seiner Männlichkeit auf einem Silbertablett. Mann, war das witzig! Tat das gut. Sie war noch nicht gekämmt, malte ihre Wirbel, ihre Grübchen, ihre Dummheit und schrieb: Camille, Januar 2004, duschte und beschloß, ihn auf seinem Ausflug zu begleiten.
Das war sie ihm wirklich schuldig.

Eine Nachricht auf ihrem Handy. Ihre Mutter. Nix da, heute nicht. Um die Nachricht zu löschen, drücken Sie die Sterntaste.
Machen wir. Und Stern.

Sie verbrachte den Rest des Tages mit Musik, ihren Schätzen und Aquarelldöschen. Rauchte, knabberte, leckte ihre Marderhaare, lachte vor sich hin und zog ein Gesicht, als es Zeit für die Kittelschürze war.

Du hast schon ziemlich aufgeräumt, überlegte sie, als sie zur Metro trottete, aber es gibt noch einiges zu tun, nicht wahr? Du willst es doch dabei nicht belassen?
Ich tu, was ich kann, ich tu, was ich kann.
Nur zu, wir vertrauen dir.
Nichts da, vertraut mir nicht, das streßt mich.
Tz tz, mach schon. Beeil dich. Du bist spät dran.

10. Kapitel
Philibert war ziemlich unglücklich. Er folgte Franck durch die ganze Wohnung:
»Das ist unvernünftig. Ihr fahrt zu spät los. In einer Stunde ist es dunkel. Es wird frieren. Nein, das ist unvernünftig. Fahrt mo... morgen früh.«
»Morgen früh wird geschlachtet.«
»Was für eine Idee aber auch! Ca... Camille«, er rang vor Verzweiflung die Hände, »blei... bleib hier bei mir, ich geh mit dir in den Tee... Teepalast.«
»Jetzt mach aber mal halblang«, brummte Franck und stopfte seine Zahnbürste in ein Paar Socken, »wir wollen doch nicht ans Ende der Welt. In einer Stunde sind wir da.«
»Oh, sag... sag das nicht... nicht... Du... du fährst bestimmt wie... wieder wie ein... ein Verrückter.«
»Überhaupt nicht...«
»Doch, ich... ich kenne di... dich... doch.«
»Hör auf, Philou! Ich mach sie dir nicht kaputt, das schwör ich. Kommst du, Miss?«
»Ach... Ich... Ich...«
»Was, ich?« fragte er gereizt.
»Ich habe nur... nur euch auf der Welt.«
Stille.
»Oh nein. Das darf doch nicht wahr sein. Jetzt wirdÕs rührselig.«
Camille stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu umarmen:
»Ich habe auch nur dich auf der Welt. Mach dir keine Sorgen...«
Franck seufzte.
»Wer hat mir denn diesen Trupp Geistesgestörter aufgehalst! Driften wir jetzt alle in die Melo-Ecke ab, oder was? Wir ziehen doch nicht in den Krieg, verflucht! Wir sind achtundvierzig Stunden weg!«
»Ich bring dir ein gutes Steak mit«, rief Camille ihm zu und begab sich in den Fahrstuhl.
Die Türen schlossen sich hinter ihnen.

»Du?«
»Was?«
»In einem Schwein gibtÕs keine Steaks.«
»Nicht?«
»Nee.«
»Hm, was denn dann?«
Er rollte mit den Augen.


11. Kapitel

Er war noch nicht an der Ausfahrt Porte dÕOrléans, als er auf dem Standstreifen hielt und ihr bedeutete, abzusteigen:
»Also, hier läuft was schief.«
»Was denn?«
»Wenn ich mich in die Kurve lege, mußt du das auch tun.«
»Bist du sicher?«
»Klar bin ich sicher! Mit deinen Mätzchen landen wir noch im Graben!«
»Aber, ich dachte, wenn ich mich dagegen lehne, halte ich das Gleichgewicht.«
»Verflucht, Camille. Ich kann dir keine Physikstunde geben, aber das ist eine Frage der Schwerpunktachse, verstehst du? Wenn wir uns beide in die Kurve legen, haften die Reifen besser.«
»Sicher?«
»Ganz sicher. Leg dich mit mir in die Kurve. Vertrau mir.«
»Franck?«
»Was denn? Hast du Angst? Noch kannst du die Metro nehmen, weißt du?«
»Mir ist kalt.«
»Schon?«
»Ja.«
»Okay. Laß den Griff los und drück dich an mich. Drück dich so fest wie möglich an mich und steck die Hände unter meine Jacke.«
»Gut.«
»Hm?«
»Was denn?«
»Aber schön brav sein, nicht daß du mir das ausnutzt?« fügte er spöttisch hinzu und klappte ihr Visier mit einem Schlag herunter.


Hundert Meter weiter war sie von neuem durchgefroren, an der Mautstelle war sie tiefgekühlt, und bei der Einfahrt in den Bauernhof war sie nicht einmal mehr in der Lage, die Arme hochzunehmen.

Er half ihr beim Absteigen und stützte sie bis zur Tür.
»Da bist du ja. Was hast du uns denn da mitgebracht?«
»Ein Fischstäbchen.«
»Kommt rein, immer rein mit euch! Jeannine! Hier ist der Franck mit seiner Freundin.«
»O je, die Kleine«, jammerte die gute Frau, »was hast du denn mit ihr gemacht? Seht euch das an. Ganz blau, das Kind. Aus dem Weg alle miteinander! Jean-Pierre! Stell schon mal einen Stuhl an den Kamin!«

Franck kniete sich vor sie hin:
»He, du mußt deinen Mantel ausziehen.«
Sie reagierte nicht.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 05.12.2005