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Ästhetik als Mittel zum Zweck

Öffentliches Kolloquium zur Erinnerungskultur im Museum Waldhof

Bielefeld (uj). Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der Aneignung eines Themas aus künstlerischer und wissenschaftlicher Sicht, oder sind beide Disziplinen unvereinbar? Thesen und Standpunkte dazu bot am Donnerstagabend ein öffentliches Kolloquium, zu dem der Kunstverein in Kooperation mit der Schule für Historische Forschung der Universität Bielefeld eingeladen hatte.

Das Thema »Deutsche Erinnerungskultur in der Enkelgeneration« nahm Bezug auf die aktuelle Ausstellung im Waldhof. Die dort gezeigten Werke von Jörg Herold zur Dokumentararchäologie sind ästhetische Reflexionen zur Erinnerungskultur. Für die Geschichtswissenschaftler interessant wird Herold zum einen durch den Generationswechsel, den der 42-jährige Künstler verkörpert, zum anderen aufgrund seiner Sozialisation in der DDR. Darauf wies Professor Dr. Bernhard Jussen hin, der gemeinsam mit Professor Dr. Willibald Steinmetz die Veranstaltung moderierte.
Mit Professor Dr. Reinhart Koselleck und Professor Dr. Klaus Krüger waren zwei Wissenschaftler geladen, die aus unterschiedlichen Perspektiven das Werk Jörg Herolds analysierten. Koselleck, der Historiker, der die These aufstellte, dass Erfahrung die Basis für Erinnerung sei, und der auf die Konvergenz von Ereignis und Bild hinwies. Kröger, der, aus kunstwissenschaftlicher Sicht argumentierend, Jörg Herolds Werk der gegenwärtigen Geschichtsmalerei zuordnete und die Produktionsästhetik des Künstlers hervorhob.
Herold selbst verwies auf seine persönliche Motivation: »Es ist mir möglich, mir ohne Druck Geschichte anzueignen.« Er habe früh gelernt, Bilder zu hinterfragen, und glaube, dass »jedes Foto eine Lüge« sei. Er sehe sich als Mittler von Geschichte, als jemand, der zwar einen Weg bahne, aber keine Antworten parat habe.
In diesem Zusammenhang bilden Herolds Bilder ein reflexives Moment, so Krüger, der auf die generelle Schwierigkeit der Aneignung von Geschichte hinwies. Unter anderem, weil laut Meinung von Professor Krüger Erfahrungen der ständigen Veränderung unterliegen. »Es gibt eine Selektion der eigenen Erinnerung, und deshalb ist Erfahrung keine feststehende Größe.«
Koselleck hingegen vertrat die Ansicht, dass Primärerfahrungen, also selbst gemachte Erfahrungen, unveränderlich seien und sich von Sekundärerfahrungen grundsätzlich unterscheiden. Seine Konzession an die Kunstwissenschaft: »Sekundärerfahrungen können Dinge lesbar machen.«
Zum Unterschied zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit sagte Koselleck: »Beides ist analog. Auch der Wissenschaftler muss seinen Text gestalten und ist dabei auf ästhetische Kategorien angewiesen.« Dem Künstler werde lediglich größere Freiheit eingeräumt. Der Historiker hingegen sei an das Vetorecht der Quellen gebunden.

Artikel vom 26.11.2005