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Rainer Arnold (SPD)

»Wir gehen nicht davon aus, dass Israel die Boote atomar ausstattet.«

Leitartikel
Overkill im Mittelmeer

Abgetaucht und weggeschaut


Von Reinhard Brockmann
Mit dem schönen rheinischen Adjektiv »jespenstisch« wurde gestern an dieser Stelle Konrad Adenauers Blick auf den Start der ersten großen Koalition zitiert. Nicht minder geisterhaft könnte uns schon bald ein kaum wahrgenommenes Waffengeschäft im Niemandsland zwischen den Regierungen Schröder/Fischer und Merkel/Steinmeier erscheinen.
Nachdem Rot-Grün Anfang November noch schnell 298 Leopard II Panzer an die Türkei verhökert hatte, folgte als eine der letzten Amtshandlungen ein noch heißerer Deal. Israel soll ein viertes und fünftes »Dolphin«-U-Boot erhalten. Kosten: eine Milliarde Euro. Ein Drittel davon zahlen wir Bundesbürger als Abschiedsgeschenk Schröders und Fischers - mit Billigung Merkels.
Offizielle Bestätigungen gibt es nicht, wohl aber SPD-Abgeordnete, die das Geschäft verteidigen. So viel ist Beobachtern klar: Im geheim tagenden Bundessicherheitsrat hatte auch der grüne Außenminister zugestimmt. Fischer musste den Vertrag am Montag aber nicht mehr selbst unterschreiben, er schickte einen Staatssekretär.
Ungewollt passend zu der Lieferung deutscher U-Boote veröffentlichte Israels große Zeitung »Haaretz« am selben Montag eine Karikatur zur dortigen Regierungskrise. Ariel Scharon steht am Steuer eines U-Boots vor dem Abtauchen, während die Meuterer der Likud-Partei an Deck halb im Wasser an eine verschlossene Tür klopfen.
Erst wenige Tage her und doch schon ganz weit weg: Scharon hat eine neue Partei, Schröder einen Beratervertrag und Fischer noch einmal allen - inklusive der eigenen Partei - eine Nase gezeigt.
Abgetaucht und weg: Wer das gigantische Waffengeschäft mit Explosivwirkung für den gesamten Nahen Osten ernsthaft und mit allen seinen Konsequenzen diskutieren möchte, findet einfach keinen Adressaten mehr. Aber: Die Folgen dieser einsamen Entscheidung ohne jede Debatte werden Deutschland noch einholen.
Israel, von dessen totaler Ausradierung Iraks Staatschef eben noch phantasierte, hat mit fünf »Delfinen« die volle (atomare) Rückschlagsoption - im Extremfall sogar gegen den Willen der USA. Das allein ist die Aufgabe dieser Waffe.
Die arabische Parole, alle Juden ins Meer zu treiben, ist endgültig durchkreuzt. Für uns heißt das: Urplötzlich ist die alte Overkill-Gefahr wieder da.
Denn: Nach der denkbaren Vernichtung von Tel Aviv, Jerusalem und Haifa könnten die letzten israelischen Militärs aus dem Mittelmeerraum heraus, womöglich irgendwo bei Mallorca kreuzend, atomare Lenkwaffen auf arabische Großstädte führen.
Abstrus? Von vorgestern? Von wegen! Gerade, weil wir diese Weiterungen nicht diskutieren, wird deutlich, wie gut es Schröder, Fischer und Nachfolgern gelungen ist, die Tagespolitik mit Iraks Atomprogramm, Terroristenjagd und USA-Kritik zu unterhalten. Das schafft den argumentativen Schutzwall, hinter dem Waffengeschäfte und strategische Entscheidungen laufen.

Artikel vom 25.11.2005