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Versicherer hören nicht auf den Außendienst

Den meisten Konzernen geht es nur um die Planzahlen

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). In der Versicherungsbranche tobt derzeit ein Tarifstreit um Arbeitsplatz-Garantien und höhere Löhne. Er ist auch das Ergebnis tiefgreifender Veränderungen. Policen werden heute in Indien erarbeitet. Und an den Telefonen sitzen keine Versicherungsangestellten mehr, sondern die Mitarbeiter von Call Centern.

Wer nun glaubt, dass wenigstens bei den Außenmitarbeitern die Welt noch in Ordnung ist, irrt. »Ihnen werden vom Innendienst derart die Flügel beschnitten, dass sie einfach keine Lust mehr haben«, sagt Hans-Andreas Bosek. Der selbstständige Versicherungsmakler aus Bielefeld sieht vor allem die Ausschließlichkeitsverkäufer, die nur für ein Unternehmen arbeiten, einem großen Druck ausgesetzt: »Sie sollen eine festgelegte Anzahl von Verträgen einer bestimmten Versicherungsart verkaufen.« Ob diese Versicherung auch den Wünschen und Interessen der Kunden entspricht, spiele dabei fast keine Rolle mehr.
Waren es früher die Außendienstler, die mit den Ideen ihrer Kunden neue Produkte anstießen oder bestehende Versicherungen aufbesserten, so fehlt dazu heute bei nicht wenigen Ausschließlichkeitsverkäufern die notwendige Qualifikation. Zudem sind solche Vorschläge nach der Beobachtung von Insidern von den meisten Konzernzentralen auch gar nicht erwünscht. Neue Versicherungsprodukte entstünden heute häufig als »Schnellschüsse«: Hauptsache, man ist der Erste am Markt. Entsprechend fehlerhaft seien diese Versicherungen oft noch.
Frust herrscht aber nicht nur im Außendienst, sondern auch in den Verwaltungen der Konzerne. Teile werden verlagert -Ê entweder in andere Städte oder gleich ins Ausland. Die Folge ist der Abbau von Arbeitsplätzen. Die Kosequenzen spürt der Kunde. Brauchte eine neue Police in der Vergangenheit etwa drei Tage, um zum Kunden zu gelangen, so sind es bei manchen Versicherungen heute bis zu zwölf Wochen.
Die Verbraucher seien allerdings nicht ganz unschuldig an der Entwicklung. Wer wegen 2,50 Euro im Jahr die Autoversicherung wechselt, ohne überhaupt vorher zu prüfen, ob auch die Vertragsbedingungen identisch seien, müsse sich nicht wundern, wenn die Versicherungen ihrerseits an der Kostenschraube drehten.
»Irgendwie«, meint Bosek, »sind die Veränderungen in der Finanzbranche fast typisch für unsere Gesellschaft.« Immer geht es darum, dass der Außendienst nur noch verkaufen soll. »Ob nun der Pharmareferent Verbesserungsvorschläge für ein Arzneimittel vorlegen, der Elektroverkäufer die unverständlichen Bedienungsanleitungen kritisieren oder der Autoverkäufer die Wünsche seiner Kundschaft an den Hersteller weiterreichen möchte: In den meisten Fällen finden sie kein offenes Ohr. Im Gegenteil: Sie sind nur noch die Erfüller von Planzahlen.« Seite 4: Kommentar

Artikel vom 24.11.2005