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Museum sucht
eine Gipsbüste

Thomas Mann lobte Melchior Lechter

Von Dietmar Kemper
Münster (WB). Gesucht wird ein exzentrischer Mozart-Typ, den das britische Empire für einen deutschen Spion hielt. Das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster fahndet nach einer Büste von Melchior Lechter, dessen Leben so spannend ist wie das Verschwinden des Kunstwerks selbst.
Wer hat diese Büste von Melchior Lechter geerbt?

Vom 4. Februar 2006 an zeigt das Landesmuseum am Domplatz eine Werkschau des Malers Melchior Lechter (1865-1937), der sich mit Bildern im Jugendstil einen Namen machte und dessen Buchillustrationen als hochbezahlte Sammlerstücke gelten. »Melchior Lechters Gegen-Welten: Kunst um 1900 zwischen Münster, Indien und Berlin« heißt die bis zum 1. Mai angesetzte Ausstellung.
Wie der aus Münster stammende Lechter in der zweiten Lebensphase aussah, ist bekannt. Gern würde der Kurator der Ausstellung, Jürgen Krause, auch ein Jugendporträt zeigen, aber genau das ist verschwunden. »Ein Foto von der 1888 entstandenen Skulptur haben wir«, sagte Krause gestern dieser Zeitung: »Der damals 23-jährige Lechter sieht darauf aus wie ein Mozart-Typ.« Die Nachforschungen ergaben, dass die Aufnahme in den 50er-Jahren vom Museumsfotografen Wilhelm Rösch gemacht wurde.
Der Besitzer der Büste hatte sie für Dokumentationszwecke ins Museum gebracht und dann wieder mitgenommen. »Leider hat Rösch damals nicht notiert, wem die Büste gehörte«, ärgert sich Jürgen Krause. Den inzwischen verstorbenen Fotografen kann Krause nicht mehr fragen. Gefragt waren die Bilder Lechters in einem Kreis von Verehrern, der den Sohn der Stadt unterstützte und alles von ihm sammelte. Deshalb geht Kurator Krause davon aus, dass sich die Büste in Münster und Umgebung befindet. Er ruft die Menschen auf, in ihrem Speicher zu stöbern. Künstlerisch betrachtet war Lechter weit mehr als eine Provinzgröße. Nach einem Besuch Münsters schrieb Thomas Mann 1911 an seinen Bruder Heinrich bewundernd über Lechters Glasfenster »Lumen de lumine« im Westfälischen Landesmuseum. Dessen Farben seien »ganz wundervoll« und überträfen sogar den Glanz in der Sainte Chapelle in Paris. Dort sind auf 15 Fenstern in betörend schönen Farben 1134 Szenen aus Bibel und Evangelium verewigt. Die Fenster stammen aus dem 13. Jahrhundert.
Melchior Lechter hatte Glasmalerei erlernt, fühlte sich aber zu Höherem berufen. An der Preußischen Akademie der Künste in Berlin wurde er zum Maler ausgebildet und blieb seitdem in der Hauptstadt. Spuren hinterließ seine ausgedehnte Reise nach Indien, Burma und Ceylon in den Jahren 1910 und 1911. 2500 Fotos brachte Lechter mit zurück, aber seinen Wunsch, mit dem Dalai Lama zu sprechen, durchkreuzte das britische Königreich. »Dort hielt man den Deutschen für einen Spion«, erläutert Jürgen Krause. Lechter hätte nur zu gern mit dem Dalai Lama über Religion diskutiert. Der Hang zur Mystik prägte auch seine Kunst. Krause spricht von »weltanschaulicher Malerei«.
Die von Studienfreund Karl Pracht angefertigte Büste des jungen Lechter ist nicht das einzige verschollene Kunstwerk. Aber seit das Museum am Domplatz auf die geplante Sonderausstellung hinwies, tauchten Werke plötzlich wieder auf. Jürgen Krause: »Gerade erst wurde mir ein Bild angeboten, das Lechter 1895 direkt aus dem Atelier abgekauft wurde und in einem Berliner Haus stand, das im Krieg nicht zerstört wurde.« Wer die Gipsbüste mit dem jungen Mann besitzt, kann sich unter der Telefonnummer 0251/5907200 melden.

Artikel vom 22.11.2005