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Merkel regiert Deutschland

Nicht alle Stimmen der Koalition - Schröder gratuliert als erster - Kabinett vereidigt

Berlin (dpa/Reuters). Deutschland hat erstmals eine Kanzlerin: Die 51-jährige CDU-Vorsitzende Angela Merkel wurde gestern im Bundestag zur Nachfolgerin von Gerhard Schröder gewählt. Trotz mindestens 49 fehlender Stimmen aus den Großen Koalition werteten führende Vertreter von CDU, CSU und SPD das Ergebnis als solide Basis für die schwarz-rote Regierungspolitik.
Gerhard Schröder übergibt das Bundeskanzleramt an Angela Merkel.Fotos: dpa/Reuters


Sichtlich bewegt nahm Merkel die historische Wahl an. Schröder war der erste, der gratulierte. Anschließend ernannte Bundespräsident Horst Köhler die in Ostdeutschland aufgewachsene Physikerin im Schloss Charlottenburg zur Kanzlerin. »Mir geht es sehr gut, und ich bin sehr zufrieden, und ich bin glücklich«, sagte Merkel kurz darauf strahlend. Sie erhielt Glückwünsche aus der gesamten Welt.
»Es war kein sehr gutes Ergebnis, aber auch kein schlechtes«, sagte Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere. Dagegen werteten der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle und Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn das Abstimmungsergebnis als Beleg für die Brüchigkeit des Regierungsbündnisses. Köhler appellierte an die neue Regierung, Reformen auch gegen den Widerstand vieler Seiten durchzusetzen.
Merkel erhielt 397 Stimmen. 202 Abgeordnete votierten gegen sie, 12 enthielten sich, eine Stimme war ungültig. Union und SPD stellen im Bundestag zusammen 448 Abgeordnete, von denen nach SPD-Angaben zwei fehlten.
»Nach Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder ist damit die Abgeordnete Dr. Angela Merkel mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden«, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert. »Das ist ein starkes Signal für viele Frauen und für manche Männer sicherlich auch.«
Unions-Fraktionschef Volker Kauder sprach von einer guten Grundlage für die Arbeit der großen Koalition. »Angela Merkel hat damit einen hervorragenden Start.« Der künftige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zeigte sich zuversichtlich, dass die Zustimmung für Merkel in der SPD-Fraktion noch wachsen werde.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck wertete die Gegenstimmen aus der Koalition als »nicht dramatisch«. »Das ist ein ganz ordentlicher Anfang, und wir werden ganz ordentlich weitermachen.«
Mehrere SPD-Parlamentarier lobten Merkel für ihren kurzen Auftritt am Montag vor der SPD-Fraktion, der ihr Sympathien eingebracht habe.
Am Mittag überreichte Präsident Köhler der CDU-Chefin die Ernennungsurkunde. Er wünschte ihr in der kurzen Zeremonie »viel Glück, viel Kraft und Gottes Segen«. Anschließend sprach Merkel den Amtseid.
Am Nachmittag bei der Ernennung der Minister mahnte Bundespräsident Köhler zu Reformen zur Belebung des Arbeitsmarktes. »Sie werden von vielen kritisiert werden. Das sollte Sie in Ihrem Einsatz für die Erneuerung anspornen.« Die Koalition habe eine patriotische Verantwortung, müsse auch aufmerksam der Opposition zuhören und für Fairness im Bundestag sorgen. Köhler forderte offenbar in Anspielung auf die Debatte über die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts, die Vorgaben des Grundgesetzes zu achten.
Nach dem Amtseid der Minister kam das neue Kabinett am Abend zur ersten Sitzung zusammen. Zuvor hatte Gerhard Schröder das Kanzleramt an seine Nachfolgerin übergeben. Er wünschte Angela Merkel Glück und Erfolg.
Schon heute bricht Merkel zur ersten Auslandsreise auf. Nach einem Besuch beim französischen Präsidenten Jacques Chirac in Paris sind in Brüssel Gespräche mit Vertretern von NATO und EU geplant. Morgen ist ein Abendessen mit dem britischen Premierminister Tony Blair in London vorgesehen.

Artikel vom 23.11.2005