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Richard von Weizsäcker. Foto: Carsten Borgmeier

Gegen Unmoral
in Unternehmen

Weizsäcker zu Gast in Bielefeld

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Mehr Wirklichkeitssinn in den Sozialgesetzen und mehr Moral in der Wirtschaft fordert Altbundespräsident Richard von Weizsäcker.

Die große Koalition, so sagte Weizsäcker gestern vor 400 Gästen der Zeitarbeitsfirma Randstad in Bielefeld, ist in der Geschichte der Bundesrepublik nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Bei allen wichtigen Sozialgesetzen habe die Regierung -Êteilweise gezwungen durch eine andere Mehrheit im Bundesrat -Êmit der Opposition zusammengearbeitet. Nun, da die Kosten aus dem Ruder liefen, könne eine große Koalition die Dinge vielleicht am ehesten wieder ins Lot bringen.
Weizsäcker hat klare Vorstellungen, wie die Reform aussehen sollte: »In Dänemark haben die Menschen den gleichen sozialen Schutz wie hier; nur werden die Kosten dort von allen Steuerzahlern aufgebracht.«
Im Rückgriff auf den durch Spekulationsgeschäfte reich gewordenen, dabei aber kritisch gebliebenen Ungarn George Sorros bejahte Weizsäcker dessen These, dass Freiheit und Demokratie nach dem Ende des Kommunismus jetzt durch den Kapitalismus bedroht seien. In vielen Unternehmen seien Ethik und Moral verlorengegangen. Dies gelte beispielsweise für die »Un-Kultur«, selbst bei Umsatzsteigerungen und guten Gewinnen noch einen Teil der Arbeitskräfte, die dies erwirtschaftet haben, »freizusetzen«.
»Unmoralisch« nannte Weizsäcker das Verhalten einzelner Manager. Wer wie der frühere Mannesmann-Chef Klaus Esser dafür, dass er eine Aufgabe -Êdem Konzern die Selbstständigkeit zu erhalten -Ênicht erfüllt habe, noch Millionen als Belohnung kassiere, verstoße gegen grundlegende Ethik. Der CDU-Politiker, der das Präsidentenamt von 1984 bis 1994 ausgeübt hat, appellierte an die Wirtschaftsverbände, ethische Leitlinien zu erarbeiten und nicht auf die Gesetzgeber in Berlin oder Brüssel zu warten.
Zum Abschluss gab es Lob für den Veranstalter: Zeitarbeitsfirmen wie Randstad trugen dazu bei, dass Firmen trotz der hohen Kosten in Deutschland produzieren, erklärte von Weizsäcker.

Artikel vom 23.11.2005